DOKVILLE 2022: Investigation, Fakes und juristische Risiken

Wie verifiziert man Informationen? Welche juristischen Risiken gibt es beim investigativen Arbeiten? Das wurde auf den beiden DOKVILLE Panels „Investigativ arbeiten – Zwischen Fakes und Fakten“ und „Auf der Spur des Geldes – Juristische Risiken“ diskutiert.

Investigative Arbeit fordert zeitaufwendige Recherchen

„Journalismus ist investigativ, wenn gegen Widerstände recherchiert wird“, umreißt Thomas Reutter (Redaktion Dokumentation und Gesellschaft beim SWR) seine Auffassung von Investigation bei DOKVILLE. Gedanklich verbindet man sie oft mit Insidern und Whistleblowern. Doch der „Traum für investigative Journalist:innen“, der brisante Informationen zur Verfügung stellt, steht längst nicht so häufig zur Verfügung, wie man meinen könnten. Der größte Teil der Recherche geschieht vielmehr unspektakulär am Schreibtisch. „Manchmal dauert es Monate, bis man an Informationen in Form von beispielsweise Akten gelangt. Und dann ist in diesen viel geschwärzt“, führt Reutter aus. Benötigt werde, neben viel Zeit, also vor allem Geduld.

DOKVILLE 2022: Panel "Investigativ Arbeiten - Zwischen Fakes und Fakten". Thomas Reutter und Daniel Sager (c) Günther Ahner/HDF
Thomas Reutter und Daniel Sager auf dem DOKVILLE-Panel “Investigativ arbeiten – Zwischen Fakes und Fakten” © Günther Ahner/HDF
DOKVILLE 2022: Panel "Investigativ Arbeiten - Zwischen Fakes und Fakten" (c) Günther Ahner/HDF
Julia Bayer, Moderatorin Adrienne Braun, Thomas Reutter und Daniel Sager bei DOKVILLE © Günther Ahner/HDF

„Hinter den Schlagzeilen“: Investigativ-Journalisten bei der Arbeit

Auch Filmemacher Daniel Sager verweist auf die Bedeutung von Informanten, betont aber auch, dass sie nicht allein ausschlaggebend für investigative Recherchen seien. „Oftmals sind es andere Informationsquellen, keine Personen, mit denen man auf Missstände hinweisen kann”, erklärt er bei DOKVILLE 2022. Die Rolle von Statistiken und Akten sei dabei nicht zu unterschätzen. Sein Dokumentarfilm „Hinter den Schlagzeilen“ begleitet die Arbeit des gut vernetzten Investigativ-Ressorts der Süddeutschen Zeitung im Stil des Direct Cinemas. Dieses hatte u. a. die Ibiza-Affäre aufgedeckt. „Im investigativen Journalismus sind Recherchen lange Prozesse, die vor allem vor dem Computer stattfinden. Das ist natürlich schwierig zu zeigen“, so Sager bei DOKVILLE, der zudem auf die vielen, über einen langen Zeitraum verteilten Drehtage verweist. „Man benötigt natürlich viel Glück, um genau dann da zu sein, wenn etwas passiert.“

Ebenfalls unverzichtbar, wenn es um sensible Themen geht: Vertrauen. „Viele investigativen Journalist:innen wollen ihre Quellen schützen. Man kann in manchen Momenten nicht einfach die Kamera laufen lassen“, erklärt er. Daher hatte die Süddeutsche Zeitung das Recht, im Sinne des Quellenschutzes Einfluss auf den Film zu nehmen, damit der Personenschutz gewährleistet wird.

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Recherchen sind risikoreich und erfordern viel Geduld

Nicht zu allen Themen gibt es allerdings schon fertige Daten. „Man muss Menschen vor Ort befragen und nachsehen, wie die Situation dort ist”, erklärt Thomas Reutter bei DOKVILLE. Auch Patrick Aichroth weist auf die Wichtigkeit hin, dass bestimmte Informationen erst gesammelt werden müssen, bevor sie interpretiert werden können.

Investigative Recherchen sind zudem mit dem Wagnis verbunden, dass nichts aufgedeckt wird. „Man muss das Ende einer Recherche offenhalten, weil es auch nicht anders möglich ist. Das Publikum merkt bei einem fertigen Film auch, wenn die Filmschaffenden und Redaktionen das Risiko eingegangen sind und das Ende nicht explizit festgestand, was auch sehr wichtig ist”, erklärt Thomas Reutter.

Fake News und manipulierte Daten

Eine Gefahr ist auch, dass sensible Daten vielleicht gefälscht sind und sich als Fake News entpuppen. Schließlich könne mittlerweile jede:r digitale Inhalte manipulieren, wie Julia Bayer, Investigativ-Journalistin und Projekt-Managerin des Deep Fake Detection Tools „Digger“, ausführt. Das fängt schon bei einfachen „Fakes“ ab. „Meistens werden Videos aus dem Kontext gerissen und in einem völlig anderen gezeigt“, erklärt sie.

Digitale Manipulation umfasst allerdings ein riesiges Spektrum, wie auch Patrick Aichroth vom Fraunhofer-IDMT erklärt: „Es gibt drei Arten von Manipulation, die Dekontextualisierung, die eigentliche Manipulation, worunter der Schnitt oder die Verlangsamung eines Videos fällt, sowie die Fabrikation. Hier wird ein Modell für eine:n Sprecher:in trainiert, welches die Sprachcharakteristika erkennt und Inhalte produziert, die allerdings nie gesagt wurden.“ Vor allem Letzteres habe sich qualitativ stark verbessert, was das Erkennen von Fälschungen erschwert.

DOKVILLE 2022: Panel "Investigativ Arbeiten - Zwischen Fakes und Fakten" (c) Günther Ahner/HDF
Patrick Aichroth (via Zoom), Julia Bayer, Adrienne Braun, Thomas Reutter und Daniel Sager bei DOKVILLE 2022 © Günther Ahner/HDF

Patrick Aichroth erklärt bei DOKVILLE auch, warum Manipulation vorgenommen wird. „Die meisten Fälle sind gezielte Angriffe auf Personen, um diese zu diskreditieren”, berichtet er. Julia Bayer verweist auf weitere Motivationsfaktoren: „Es gibt zum einen die reine Propaganda. Umso häufiger eine Lüge wiederholt wird, desto besser bleibt sie bei den Leuten hängen. Aber auch Humor ist ein großes Thema – denn vielen User:innen macht es Spaß, Lügen zu verbreiten.”

Investigative Recherchen sind daher vor allem Teamarbeit. „Wenn man etwas miteinander teilt, teilt man auch die Expertise. Themen und auch Arten von Manipulation entwickeln sich weiter und oft kann man auch erkennen, wenn etwas gefaked ist. Das muss alles weitergegeben und -trainiert werden“, so Julia Bayer. Am wichtigsten sei allerdings die Neugierde.

Case Study zu „Auf der Spur des Geldes“ bei DOKVILLE

Ein weiterer Faktor sind die rechtlichen Gefahren, die Journalist:innen und Filmschaffende bei der investigativen Arbeit eingehen. Im DOKVILLE Panel „Auf der Spur des Geldes – Juristische Risiken“ wurden die juristischen Hintergründe zum Dokumentarfilm „Auf der Spur des Geldes“ beleuchtet. In diesem wurden Investigativ-Journalist:innen von CORRECTIV begleitet. Sie hatten Recherchen zur Finanzierung von AfD-Werbekampagnen durchgeführt.

Regisseurin Susanne Binninger hat sich schon immer für journalistische Arbeit begeistert: „Mich hat CORRECTIV sehr interessiert, weil es anders ist als eine klassische Zeitungsredaktion. Das Netzwerk ist breit aufgestellt und gemeinnützig”, erzählt sie bei DOKVILLE.

Einen investigativen Dokumentarfilm zu drehen sei eine größere Herausforderung als eine typische Doku. „Normale Drehtage hat man bei der Begleitung einer investigativen Redaktion nicht, da es dort immer ad hoc zugeht”, erklärt Ümit Uludag, Produzent bei CORSO Film. Außerdem könnten Filmschaffende nicht überall dabei sein. „Die Quellen müssen auch geschützt werden, weshalb wir von vielen Treffen nichts wussten“, so Susanne Binninger.

DOKVILLE 2022: Panel "Auf der Spur des Geldes - Juristische Risiken". Martin Pieper und Olaya Argüeso Perez (c) Günther Ahner/HDF
Martin Pieper, Olaya Argüeso Perez und Moderatorin Adrienne Braun bei DOKVILLE © Günther Ahner/HDF
DOKVILLE 2022: Panel "Auf der Spur des Geldes - Juristische Risiken". Ümit Uludag und Susanne Binninger (c) Günther Ahner/HDF
Susanne Binninger und Ümit Uludag bei der Case Study zu “Auf der Spur des Geldes – Juristische Risiken” © Günther Ahner/HDF

Vieles muss im Dokumentarfilm unkenntlich sein

Auch Martin Pieper, Redaktionsleiter bei ZDF/arte, weist auf den zeitaufwendigen Rechercheprozess hin. „Der Sinn des Dokumentarfilms war, eine Investigation zu begleiten. Wir wollten damit die mühsamen Recherchen, die Vorsichtsmaßnahmen und den ganzen Prozess an sich zeigen”, erklärt er beim Panel. Aber auch dramaturgischen Fragen bei Filmen über investigative Arbeit müssten sich die Filmschaffenden stellen, so Pieper: „Wir haben uns auch gefragt, wie man das Unerzählbare erzählt.“

„Wir mussten einige Ausschnitte im Film blurren, z. B. Hintergründe oder Menschen, die nicht mit der AfD in Verbindung gebracht werden wollten“, führt Susanne Binninger aus. Jeder Filmausschnitt musste geprüft werden. „Wir hätten gerne mehr von den Dingen gezeigt, die wir nicht zeigen durften.“

Hohe juristische Gefahren bei investigativen Dokumentarfilmen

Das Risiko, dass die porträtierten Menschen, Firmen oder Organisationen gegen die Produktionsfirma klagen, ist bei investigativen Dokumentarfilmen besonders hoch, weshalb sich viele Filmteams dagegen absichern wollen. Der Jurist Prof. Dr. Oliver Castendyk begleitete den Film „Auf der Spur des Geldes” daher ab Erstellung des Exposés. „Normalerweise berate ich eine Produktionsfirma juristisch, die sich mit einem investigativen Thema beschäftigt. Ein Film über jemanden, der investigativ arbeitet, ist eher ein Einzelfall”, berichtet er. Sein Wissen brachte er u. a. hinsichtlich der Frage ein, unter welchen Voraussetzungen die Dreharbeiten überhaupt verwertbar und ausstrahlbar sind.

So gilt es zu beachten, dass je nach Land eine andere Rechtslage gelten könne. „In den USA sind der Stellenwert der Pressefreiheit und die damit verbundenen Möglichkeiten besonders hoch. Betroffene haben dort wenig Chancen, gegen die Berichterstattung vorzugehen. In Europa haben Menschen viel stärker aufgestellte Persönlichkeitsrechte. Damit ist die Schwelle, in der investigativer Journalismus überhaupt möglich ist, viel höher”, so Castendyk. Dem stimmt auch Olaya Argüeso Perez, Chefredakteurin bei CORRECTIV, zu.

DOKVILLE 2022: Case Study "Auf der Spur des Geldes- Juristische Risiken" (c) Günther Ahner
Die Teilnehmenden der Case Study zu “Auf der Spur des Geldes – Juristische Risiken” © Günther Ahner/HDF

Klagen, um investigative Arbeit zu behindern

Martin Pieper ergänzt, dass man bei der Recherche generell beide Seiten berücksichtigen müsste. „Bei Verdachtsberichterstattung muss man überlegen, welches Rechtsgut höher wiegt. Verurteilt man jemanden zu Unrecht, hat das schwere Konsequenzen. Generell gilt, je schwerer der Verdacht wiegt, desto größer könnte der Angriff gegen die filmische Arbeit sein”, erklärt er. Susanne Binninger weist darauf hin, dass natürlich auch die Gegenposition juristisch gut aufgestellt sein kann.

Ümit Uludag berichtet, dass man bei einem investigativen Film immer mit einer Klage rechnen müsse. „Man kann sich als Interessensgemeinschaft mit den Sendern, dem Filmteam und der Produktionsfirma zusammenschließen und gemeinsam gegen eine Klage vorgehen”, erklärt er. Dieser Meinung ist auch Olaya Argüeso Perez: „Klagen gehören zu den Risiken. Das Überprüfen von Fakten, Behauptungen und Zahlen ist sehr wichtig. Alles muss belegt werden“.

„Eine Klage ist oft nur ein Versuch, die Arbeit zu ernüchtern”, so Argüeso Perez. Dem stimmt Ümit Uludag zu. „Das ist eine Strategie, jemanden handlungsunfähig zu machen. Das Beste ist, einfach abzuwarten, weil man nicht weiß, wie der Gegner tickt”, erklärt er. Abschrecken lassen sollte man sich aber nicht. „Wir dürfen die Demokratie und Pressefreiheit in Deutschland nicht für selbstverständlich nehmen“, so Olaya Argüeso Perez.