DOKVILLE 2022: Panel zu Pressefreiheit in Not
In den letzten Jahren ist die Pressefreiheit zunehmend durch Desinformation, Festnahmen, Gewalt und Beschimpfungen in Bedrohung geraten. Dennoch – oder genau deshalb – sind investigative Dokumentarfilme und unabhängiger Journalismus wichtiger denn je. Doch wie gestaltet sich die journalistische Arbeit in Ländern, in denen Pressefreiheit nicht gegeben ist und wie steht es um die Pressefreiheit in Deutschland? Um diese Fragen drehte sich das von Katharina Thoms moderierte Panel „Pressefreiheit in Not”. Julia Kaltenbacher griff in ihrem Impulsvortrag „Die redaktionelle Gesellschaft – was Journalismus leisten kann” Medienbildungsangebote auf, die ein wichtiges Mittel im Kampf gegen Desinformation und für die Pressefreiheit sind.
Pressefreiheit im Kontext des Krieges
Das DOKVILLE Panel „Pressefreiheit in Not” startete mit einem Video zu Journalist:innen in der Ukraine. Filmemacherin Olga Beskhmelnitsyna ist seit Kriegsbeginn Teil eines Netzwerks aus Filmemacher:innen und Journalist:innen, deren Ziel der Aufbau eines Dokumentationsarchivs ist, das Krieg und Kriegsverbrechen dokumentieren soll. „Fotos, Videos und Filme können starke Waffen sein”, so Beskhmelnitsyna. Der Krieg gegen die Ukraine stelle Journalist:innen vor neue, unbekannte Herausforderungen: „Als Filmemacherin weiß ich, wie man einen Film finanziert, aber wie man Geld auftreibt, um Material für ein Archiv zu sammeln, ist schwer ermittelbar und kaum zu recherchieren. Wir entscheiden täglich neu: Können wir raus? Was müssen wir drehen?” Dabei sei sie auch auf finanzielle Hilfe angewiesen: Mehr Unterstützung würde eine weitläufigere journalistische Abdeckung des Landes ermöglichen.
Erfahrung und Landeskenntnis als wichtiges journalistisches Mittel
Hasnain Kazim, Markus Pfalzgraf und Esther Saoub haben Erfahrung mit Berichterstattung aus Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit und betonen direkt zu Anfang, welche Aspekte für Auslandskorrespondent:innen wichtig sind. Gerade in Krisengebieten sei es essentiell, dass sich erfahrene und junge Kolleg:innen – oft auch unter „Konkurrenzmedien” – zusammenschließen, sich gegenseitig helfen und Ratschläge geben, so Kazim, ehemaliger Spiegel-Korrespondent in der Türkei. Abgesehen von Erfahrung sei laut Saoub, SWR-Nahost-Expertin und Leiterin der Abteilung Religion und Welt, aber auch der Bezug zu den Menschen vor Ort essenzieller Bestandteil einer zuverlässigen und sicheren Berichterstattung: „Es ist schön, dass die ausländischen Journalisten und Journalistinnen sich zusammenschließen. Aber da sind auch Menschen dabei
, die von einer Krise zur nächsten fahren. Die können Krise, aber die kennen das Land meistens nicht.”
Eine gewisse Distanz ist nötig
Markus Pfalzgraf, der 2019 bei den Protesten in Hongkong vor Ort war, stellte in diesem Zusammenhang noch einen anderen Punkt heraus: Gerade wenn man das Land kenne, müsse dennoch sowohl eine praktische als auch journalistische Distanz gegenüber den Geschehnissen gewahrt werden. Dieses Problem hätten aber nicht nur Auslandskorrespondent:innen, sondern vor allem einheimische Journalist:innen, wie er anhand des aktuellen Krieges in der Ukraine beschreibt: „Journalist:innen vor Ort haben ein ganz anderes Problem, wenn es um Nähe und Distanz geht: Wo hört Journalismus auf und wo fängt Aktivismus an?” So müssten ukrainische Journalist:innen, die vor Kriegsbeginn vielleicht eher regierungskritisch berichtet haben, beispielsweise darauf achten, aus ukrainischer Sicht nicht zu kritisch über die eigene Regierung in einer Kriegssituation zu berichten.
Saoub sieht diese Problematik auch, betont aber auch, dass ausländische Journalist:innen objektiver und mit einer größeren Distanz zu Krisengebieten berichten müssen: „Ich gestehe jedem Menschen aus der Ukraine zu, emotional mit diesem Thema umzugehen, aber uns steht es eigentlich nicht zu Gesicht.” Dies sei – gerade mit dem erforderlichen persönlichen Bezug zu Land und Leuten – teilweise schwierig und man müsse als Auslandskorrespondent:in aufpassen, sich nicht mitreißen zu lassen oder zum Sprachrohr zu werden.
Große Verantwortung auf Seiten der Auslandskorrespondent:innen
Auslandskorrespondent:innen befinden sich dabei allerdings auch in einer sehr privilegierteren Lage, die sie nie aus den Augen verlieren sollten: Während sie sich meist auf den Schutz der eigenen Regierung verlassen können, können mögliche Informant:innen und Helfer:innen vor Ort dies nicht. Damit gehe auch eine enorme Verantwortung einher, wie Esther Saoub beschreibt: „Manchmal muss man auch überlegen: Will ich diese Aufnahme wirklich verwenden mit dem ganzen Namen dieses Menschen? Oder kann es sein, dass sich das Blatt in einer Woche wieder wendet und ich ihn damit in Gefahr bringe?”.
Einheimische Journalist:innen sind sich dieser Gefahr meist bewusst und so bilde sich in Ländern, in denen das Bestehen einer freien Presse nicht möglich ist, meist trotzdem eine Art Undercover-Presse auf Social Media heraus. Die dort agierenden, einheimischen Journalist:innen können allerdings nicht unter ihren Namen publizieren und seien aus diesem Grund oft auf Auslandskorrespondent:innen und deren Veröffentlichungen angewiesen, so Saoub. Dadurch würden ausländische Berichterstatter:innen oft auch zum Ersatzmedium, wie Hasnain Kazim beschreibt. Teilweise seien Menschen mit innenpolitischen Anliegen auf ihn zugekommen und hätten um Veröffentlichung von Themen gebeten, die in deutschen Medien nur schwer transportierbar sind. Auch Esther Saoub berichtete von Fällen, bei denen sie um Berichterstattung zu Themen gebeten wurde, die in deutschen Medien oftmals keinen Platz finden. Gerade seit Pandemiebeginn drehe man sich in Deutschland zunehmend um sich selbst und vergesse dabei oft die Krisen anderer Länder. Auch in Hinblick auf die Ukraine warnt Saoub vor wachsendem Desinteresse in Deutschland:
„Die Herausforderung ist wieder: Wie lange bleiben wir dran? Wie nachhaltig bleiben wir? Wann gucken wir wieder drauf? Die Krim war relativ schnell auch wieder weg aus den Medien.”
Schwindender Schutz auch bei Auslandskorrespondent:innen?
In den letzten Jahren habe sich allerdings auch der Status der Auslandskorrespondent:innen gewandelt und die zuvor als gegeben betrachtete Sicherheit schwinde zunehmend, wie Hasnain Kazim beschreibt. Er war 2016 nach eigener Beschreibung in letzter Minute aus der Türkei ausgereist, als eine Anklage wegen Präsidentenbeleidigung, Terrorpropaganda und Terrorunterstützung gegen ihn in Vorbereitung war. Mit Erhebung der Anklage hätte er das Land nicht mehr verlassen dürfen: „Ich habe damals im Frühjahr 2016 nicht für möglich gehalten, dass man mich einsperrt. Da bin ich mir heute nicht mehr so sicher. Ich habe bis dahin immer gedacht, man hat als Auslandskorrespondent größere Freiheiten, weil Ausländer von den jeweiligen Botschaftern rausgehauen werden.” Auf Seiten der autoritären Herrscher gebe es mittlerweile allerdings so viel Selbstbewusstsein, dass er die Inhaftierung ausländischer Journalist:innen nicht mehr ausschließen könne.
Auch in Deutschland nehmen Angriffe auf Journalist:innen zu
Auch in Deutschland entwickelt sich die Lage in eine besorgniserregende Richtung und Angriffe auf Journalist:innen nehmen in den letzten Jahren weiter zu. Im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen liegt Deutschland auf dem 16. Platz, drei Plätze schlechter als im Vorjahr. Diese wachsende Bedrohung komme in Deutschland zwar nicht von Seiten der Institutionen, wie Markus Pfalzgraf vom Deutschen Journalisten-Verband in Baden-Württemberg betont, sei für Journalist:innen im Land aber durchaus spürbar. Gerade am Rande der Coronaproteste kam es in Deutschland zu 80 Übergriffen auf Journalisten und Journalistinnen: „Wir haben es hier mit Leuten zu tun, die gezielt Medien und Journalist:innen angehen. Das finden wir beim Journalisten-Verband Baden-Württemberg schon sehr besorgniserregend, dass eine kleine, aber aggressive Minderheit in der Lage ist, so etwas wie die Gefährdung der Pressefreiheit herbeizuführen.”
Die sozialen Medien als Bedrohung der Pressefreiheit?
Übergriffe auf Journalist:innen beschränken sich allerdings nicht mehr nur auf die reale Welt, sondern finden mittlerweile auch in der virtuellen Welt statt, wie Esther Saoub beschreibt: „Da sitzen Trolle parat”. Die Bedrohung durch Verleumdungen, Einschüchterungen und Drohungen sieht auch Hasnain Kazim als besorgniserregende Entwicklungen an. Es handle sich dabei um nichts anderes als Versuche, Journalist:innen und andere Menschen zum Schweigen zu bringen.
Natürlich hätten soziale Medien auch ihre positiven Seiten, jeder kann publizieren und erhält die Möglichkeit potenziell eine Vielzahl an Menschen zu erreichen, betont Kazim. Allerdings biete die leider oft mangelnde Skepsis der Rezipient:innen auch Nährboden für Desinformationen, denen sich Journalist:innen auch im Internet entgegenstellen sollten: „Ich kenne sehr viele Menschen, die doch ein bisschen naiv unterwegs sind und sagen: ‚Das stand im Internet, das habe ich im Internet gelesen, dass es so ist.’ Und da ist es auf jeden Fall wichtig, dass man gegenhält. Dass man auf jeden Fall Sachen richtigstellt und darunter kommentiert und Fakten bringt.”
Desinformationen bedrohen die Demokratie
Doch was, wenn Desinformationen im Internet aufgrund der Menge nicht immer von Journalist:innen richtiggestellt werden können? Kann die Gesamtbevölkerung als solche sensibilisiert und zu einem grundskeptischen Blick befähigt werden? Mit dieser Problematik befasst sich Julia Kaltenbacher vom Team Medienstark des SWR. Gerade der Krieg gegen die Ukraine mache von neuem deutlich, welche Macht das gezielte Verbreiten von Desinformationen mit sich bringt: „Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Krieg der Informationen und damit der akuteste Schauplatz für einen Konflikt, der überall auf der Welt tobt: der Kampf von Fakten gegen Desinformation im Gewand von Propaganda und Fake News. Die Waffe des Qualitätsjournalismus ist die gründlich recherchierte Information.”
Kritischer Blick als gesellschaftliche Verantwortung
Eine kritisch prüfende und hinterfragende Haltung ist daher fester Bestandteil jeder journalistischen Herangehensweise. Die meisten Teilnehmer:innen von DOKVILLE sind mit diesem Ansatz vertraut und haben eine gesunde Grundskepsis, die sie sich in ihrem Berufsleben angeeignet haben. Doch gerade im Internet, wo (Des-)Informationen ohne journalistische Prüfung veröffentlicht und rezipiert werden, sollte auch die Gesellschaft eine journalistische Grundhaltung entwickeln. Ideal wäre die Utopie der „redaktionellen Gesellschaft”, ein Begriff, der von Bernhard Pörksen geprägt wurde. Denn auch die Gesellschaft könne ihren Teil zur Bekämpfung von Desinformation beitragen, wie Kaltenbacher in ihrem Impulsvortrag ausführt: „Wir haben als Teilnehmende am Informationsmarkt eine aktive Rolle und mit dieser aktiven Rolle geht eben auch eine Verantwortung einher. Wir sind dafür verantwortlich, dass unser politisches und gesellschaftliches Miteinander gedeihlich funktioniert.” Essenziell sei daher die Medienkompetenz der Gesamtbevölkerung zu fördern, da „eine medienkompetente Person diejenige ist, die sich herauslöst aus dieser Opferrolle. Die sich davon verabschiedet, immer getäuscht zu werden”.
Medienbildungsangebote des Team Medienstark
Medienbildung sollte aus diesem Grund als Teil der Allgemeinbildung verstanden und im Idealfall schon in schulischen Kontexten vermittelt werden. Genau um diese Wissensvermittlung geht es Julia Kaltenbacher und dem Team Medienstark beim SWR. Mit unterschiedlichen Projekten haben sie sich auf Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen spezialisiert. Mit Programmen wie „Dschungeltour” oder „Fakefinder” stellte der SWR medienbildende Touren für Schulklassen zur Verfügung, mittlerweile gibt es pandemiebedingt auch Online-Angebote der unterschiedlichen Programme. Auch Schulmaterialien sind mittlerweile für Lehrkräfte abrufbar, beispielsweise sind unter so-geht-medien.de zahlreiche Unterrichtsmaterialien zum Thema Medienkompetenz zu finden. Am ARD-Medientag haben Journalist:innen außerdem die Gelegenheit aktiv an Schulen zum Thema Medienkompetenz zu sprechen. Programme, die angesichts der aktuellen Entwicklungen wichtiger denn je sind.
Inhaltlich knüpft daran auch der abschließende Appell von Markus Pfalzgraf beim Panel „Pressefreiheit in Not” an: „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch in Deutschland, dass wir auch in Baden-Württemberg Pressefreiheit erhalten müssen, dass das jetzt nicht einfach mal so gegeben ist. Wir müssen immer wieder darauf schauen und sie immer wieder verteidigen.”