44. Duisburger Filmwoche: Doku-Serien-Konferenztag

Am 2. November 2020 eröffnete die 44. Duisburger Filmwoche – ganz im Zeichen von Corona mit geschlossenen Kinos und daher „nur“ virtuell. Das diesjährige Motto lautet: „Anspruch“. Diesem wurde auch der Konferenztag „Wie weiter?“ rund um Doku-Serien gerecht. Bis zuletzt hatten die Festivalleiter Gudrun Sommer und Christian Koch noch gehofft, die Filme im Kino zeigen zu können. Das diesjährige Motto „Anspruch“ stehe schließlich auch für die Debattenkultur, für die die Duisburger Filmwoche seit vielen Jahren bekannt sei, so Koch.

Konferenz „Wie weiter?“ auf der 44. Duisburger Filmwoche

Erstmals fand innerhalb des Festivals eine Konferenz statt mit dem Titel „Wie weiter? – Erzählerische und journalistische Potenziale der Doku- Serie“. Sechs Stunden kamen dabei Expert*innen zu Wort, die Marktüberblicke vermittelten, Insiderwissen preisgaben oder im Detail über ihre Produktionen sprachen. Den Auftakt machte Guy Bisson, Forschungsleiter der britischen Medienanalysefirma Ampere Analysis mit einem internationalen Markt- und Trendüberblick.

Trend: Dokumentarfilme und -serien auf Streaming Plattformen

Während sogenannte „scripted“ Formate durch den Corona Lockdown im Frühjahr und die sich daran anschließenden Beschränkungen verschoben wurden, konnten dokumentarische Inhalte weiterhin produziert werden. Vornehmlich solche, die auf Archivmaterial zurückgriffen. Somit haben Dokumentarfilme und -serien auf Streaming Plattformen signifikant zugenommen. Ein Trend, der allerdings auch schon vor Corona eingesetzt hatte. Gerade dokumentarische Serien sind seit „The Jinx“ (HBO), „Making a Murderer“ (Netflix), „Wild Wild Country“ (Neflix) und vor allem „Tiger King“ (ebenfalls Netflix) äußerst erfolgreich.

Doku-Serien-Pionier Justin Webster über die Entstehungsgeschichte von „Nisman“

Filmstill aus "Nisman" (Foto: Duisburger Filmwoche)
„Nisman“ über den rätselhaften Tod des argentinischen Sonderermittlers (Foto: Duisburger Filmwoche)

Justin Webster sprach in der Keynote über seine Faszination vom Format der Doku-Serie. Er gehört zu den Pionieren dieser dokumentarischen Form. Mit „Six Dreams“ – einer Serie, die hinter die Kulissen der höchsten spanischen Fußballklasse „La Liga“ schaut – oder „Nisman“, über den rätselhaften Tod des argentinischen Sonderermittlers Alberto Nisman, zeigt er die Vielseitigkeit seriellen Erzählens im Dokumentarfilm. Dabei wollte Justin Webster „Nisman“ zu Anfang nicht machen. Zu groß waren die Bedenken, zu groß die Gefahr in Argentinien zu diesem Fall zu drehen, zu lange die Produktionszeit. Einer der Produzenten meinte, „wenn wir den Film machen, werden wir getötet“. Die Dreharbeiten zur Koproduktion (unter anderem waren die gebrüder beetz, ZDF und Netflix beteiligt) dauerten letztendlich vier Jahre. „Nisman“ wurde auch in Argentinien ein Erfolg. Für Webster sind starke Charaktere die Voraussetzung für eine gute Serie, egal, ob fiktional oder nicht-fiktional.

Case Studies über den Erfolg von Doku-Serien im Fernsehen

Zwei Case Studies verdeutlichten, dass auch das klassische Fernsehen beim Serienhype nachzieht. „Höllental“ von Marie Wilke entstand in Zusammenarbeit mit dem ZDF – Das kleine Fernsehspiel und Kundschafter Filmproduktion. Es war die erste dokumentarische Serie der Redaktion, die Budgets für vier Produktionen zusammenführte, um die Serie produzieren zu können. 

Duisburger Filmwoche 2020 digital: Bild einiger Teilnehmer der virtuellen Dokuserien-Konferenz (Foto: Duisburger Filmwoche)
True-Crime-Formate wie “Höllental” im Fokus bei der Serien-Konferenz (Foto: Duisburger Filmwoche)

Gerade „True Crime“-Geschichten würden sich für eine horizontale, spannende Erzählweise eignen, so Jörg Schneider vom Kleinen Fernsehspiel. Im Mittelpunkt steht der mysteriöse Mord an der neunjährigen Peggy Knobloch, die im Jahr 2001 spurlos aus einem kleinen Ort in Oberfranken verschwand. Ihre Geschichte beschäftigte die Polizei über Jahre hinweg. Der Blick der Dokumentarfilmerin steht für Marie Willke dabei im Vordergrund, weniger das investigative, journalistische Vorgehen.

In der zweiten Case Study „Scandinavian Star“ über das Fährunglück im Jahr 1990, sprach Sigrid Jonsson Dyeklaer, Produzentin bei Danish Documentary Production, über die Verbindung aus Fakten und Drehbuch. „Nichts ist Fiktion in dieser Serie, es ist alles faktisch. Die Fakten waren alle bekannt. Aber wir haben die Möglichkeiten, die ein Drehbuch für einen fiktionalen Film bietet, für diese Serie genutzt“, so Dyeklaer. Die Produzentin suchte zusammen mit ihrem Team nach starken, bisher nicht gehörten Protagonisten, die sie international ausfindig machten.

Serielles Erzählen als historische Chance für Dokumentarfilmer

Duisburger Filmwoche 2020 digital: Bild einiger Teilnehmer der virtuellen Dokuserien-Konferenz (Foto: Duisburger Filmwoche)
Einige der Teilnehmer:innen der virtuellen Dokuserien-Konferenz (Foto: Duisburger Filmwoche)

Das Abschlusspanel der Konferenz auf der 44. Duisburger Filmwoche stand unter der Überschrift „Chancen und Risiken des Trend-Formats Doku-Serie“. Thematisch ging es bei der Diskussion zwischen Jennifer Mival, Manager Unscripted & Doc Series bei Netflix, Eva Müller, Projektleiterin von „docupy“ ARD/WDR/btf, Spiegelredakteurin Hannah Pilarczyk sowie Matin Spieker, Chefredakteur Filmreif TV, um Doku-Serien aus Deutschland und zukünftige Möglichkeiten für Finanzierung und Auswertung.

Einig war man sich darin, dass serielles Erzählen eine historische Chance für Dokumentarfilmer bietet, um ihre Inhalte mit einer großen Reichweite erzählen zu können. Statt auf kleine Programmkinos oder die Mitternachtsschiene bei den Öffentlich-Rechtlichen limitiert zu sein, könnten Dokumentarfilme und -serien über SVoD, abonnierte Videos on Demand, ein größeres Publikum ansprechen. Für Eva Müller funktioniert „online first“, aufgezeigt anhand des Formats „docupy“, auch deshalb so gut, weil es mehr Freiheit in Form und Thema biete als bisher möglich war. Für Hannah Pilarczyk könnte die Vielfalt der Ansprache wachsen, während Jennifer Mival gerade in Serien wie „Rohwedder“ – eine gebrüder beetz/Netflix Original Produktion – die Chance sieht, komplexe Zusammenhänge spannend und verständlich zugängig zu machen.

https://www.youtube.com/watch?v=yBz0A1zqyU8

„Höllental“ zu Gast bei DOKVILLE 2018

Im Jahr 2018 führten wir bei DOKVILLE „In Serie – Boom non-fiktionaler Formate“ ein Gespräch mit Marie Wilke, Dirk Engelhardt und Jörg Schneider zu „Höllental“. Die Serie war seinerzeit in der Entwicklung. 

Sendehinweis zu „Höllental“: 8. Januar 2021, Teil 1 & 2, direkt nach dem heute-journal. Ab Folge 1 ist die gesamte Serie in der ZDF-Mediathek abrufbar.