Keynote, Panel und Impuls: Diversität in den Medien

Beim DOKVILLE Branchentreff 2023 diskutierten Expert:innen zu Repräsentanz von queeren, migrantischen sowie körperlich und geistig beeinträchtigen Menschen. Im Mittelpunkt stand die Frage: Wie wird Diversität in Sendern und Redaktionen gelebt?

Janboris Rätz über freie Entfaltung

Janboris Rätz versteht sich als non-binär und ist zur Eröffnung von DOKVILLE die vermutlich bunteste Erscheinung: Er*Sie trägt eine rote Bluse, pinkes Kostüm, Pumps und knallige Acryl-Fingernägel. Rätz beginnt die Keynote mit dem Hinweis: „So wie ich jetzt vor Ihnen stehe, trete ich bei meinem Job als Moderator*in für SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz, nicht auf. Dort präsentiere ich die Nachrichten in Hemd, Anzug und flachen Schuhen.“ Sein*Ihr Arbeitgeber habe sich zwar der Charta der Vielfalt verpflichtet, räume den Mitarbeiter*innen also das Recht auf freie Entfaltung am Arbeitsplatz ein. Ob und wie Vielfalt gelebt und umgesetzt werde, hänge in der Arbeitsrealität jedoch immer noch von der Einstellung der jeweiligen Führungskraft ab. 

„You can’t be what you can’t see”

Rätz zitiert in seiner Keynote mehrfach den Leitsatz der US-amerikanischen Aktivistin Marian Wright Edelman: „You can’t be what you can’t see“ – „Du kannst nicht sein, was du nicht sichtbar machst“ und plädiert dafür, sich nach außen so darzustellen, wie man tatsächlich ist. Allerdings berge dies außerhalb von safe spaces – geschützten Räumen – auch Gefahren. Man müsse schon einiges aushalten können, werde angefeindet oder beschimpft.

https://www.youtube.com/watch?v=LhkckdruKHk

Diversity-Leitfäden sind (noch) nicht nachhaltig

Rätz betont, dass Diversity-Leitfäden nicht ausreichen, solange sie arbeitsrechtlich nicht bindend seien. Doch was muss passieren, damit sich etwas ändert? Er*Sie glaubt: „Wir müssen vielfältig und authentisch sein, um glaubwürdig zu sein. Social Media schafft genau das. Die Menschen, die sich dort vielfältig und authentisch zeigen, haben mehr Erfolg. In den Öffentlich-Rechtlichen müssen wir ebenfalls da hinkommen und unsere Gesellschaft so abbilden, wie sie ist. Denn nur, wer das tut, wird auch von ihr konsumiert.“




Panel: Wie divers sind unsere Medien?

Moderatorin Adrienne Braun eröffnet das anschließende Panel „Diversität in den Medien“ mit der Frage an die iranischstämmige Journalistin Negin Behkam: „Arbeiten Sie beim L-Mag wegen ihres politischen Selbstverständnisses oder weil es schwer war, als Person mit Migrationshintergrund in klassischen Redaktionen einen Fuß in die Tür zu bekommen?“ Doch die in Berlin lebende Journalistin gewichtet anders. Für eine Zeitschrift wie das L-Mag, dessen Zielgruppe lesbische Frauen und die LGBTQ+-Community sind, zu arbeiten, wäre im Iran gar nicht möglich. Solche Themen sind mit Tabus belegt und von Zensur betroffen. Dennoch sei ihr klar, dass sie es trotz ihres Volontariats an einer deutschen Journalistenschule nicht geschafft habe, in deutschen Mainstream-Medien anzukommen. Gründe hierfür seien neben ihrer Herkunft wohl auch ihr Akzent, der für Deutsche „nicht cool, weil er nicht französisch klingt“.

Zugehörigkeit und strukturelle Probleme

Studien zufolge würden Menschen mit türkisch anklingendem Namen etwa bei Bewerbungen bei gleicher Eignung eher aussortiert, bemerkt Adrienne Braun. Auch Panel-Gast und Produzent Ümit Uludağ kennt Fremdzuschreibungen zur Genüge. Der „Türke“ zu sein und darauf reduziert zu werden, obwohl er das Land seiner Eltern nur in Sommerurlauben besucht hat, ist ihm seit der Schulzeit vertraut. Hierzu eine eigene Haltung zu entwickeln, sei für ihn als Jugendlicher nicht leicht gewesen, denn „es geht nicht darum einem Klischee oder Stereotyp zu entsprechen. Oft wurde ich gefragt, ob ich mich mehr als Türke oder mehr als Deutscher fühle. Darum sollte es aber gar nicht gehen. Ich bin Teil des Landes und dieser Mix muss selbstverständlich sein“, hält er fest. Solche Kategorisierungen und Exklusionen würden aufgrund von sozialen Strukturen erfolgen, wie Regisseurin Wiltrud Baier findet. „Oftmals sind es finanzielle Strukturen, die die Zugehörigkeit, beispielsweise zur Bildungsschicht bestimmen.“ Die eigenen Privilegien könne man nur schwer wahrnehmen. Man sehe oft nur, was man nicht hat. „Sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden, ist ein schmerzhafter, aber wichtiger Prozess“, so Baier. 




„Nischen“-Themen nur vordergründig?

Rätz betont, dass für die begrenzten Sendezeiten von Fernsehprogrammen Redaktionen automatisch eher sogenannte heteronormative Themen, die die Mehrheitsgesellschaft abbilden, auswählen als dass sie sich für vermeintliche Nischenthemen entscheiden. Baier plädiert für die Nische und kuriose Dinge, die interessantere Zugänge böten. „Gerade dort findet so vieles statt. Nischen können zeigen, warum wir Menschen sind, wie wir sind. Der Dokumentarfilm schafft genau dieses ‚Gesehen werden‘“. Bloß stelle sich die Frage, was tatsächlich Nische sei. Besonders Menschen mit Migrationsgeschichte seien keinesfalls eine, wie Negin Behkam richtigstellt. Immerhin leben in Deutschland 23,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund.

Quote – Ja oder Nein?

Wie immer in solchen Runden diskutiert das Panel schließlich die Frage der Quote. Wäre sie sinnvoll überall dort, wo öffentliche Gelder im Spiel sind? Ümit Uludağ ist gespalten. „Ich möchte wegen der Eignung berufen werden, nicht wegen meinem Migrationshintergrund. Sensibilität und Inhalte sollten abgebildet werden, aber man sollte nichts übers Knie brechen.“ Negin Behkam plädiert sowohl für eine Frauen- als auch eine Migrationsquote. „Migrationsgeschichte wird nicht ohne Quote funktionieren und die Medienlandschaft würde davon profitieren, da migrantische Themen oft falsch dargestellt werden“, erklärt sie. Aus dem Publikum kommt eine interessante Präzisierung: „Die Quote ist dafür da, um sie abzuschaffen. Ohne sie gelangen wir nicht an den gewünschten Punkt. Das strukturelle Problem muss abgeschafft werden, indem man Menschen, die da sind, auch zeigt. Dann wird es hoffentlich irgendwann ein Selbstläufer.“ Auch Panel-Gast Janboris Rätz ist für eine Quote. Er*Sie hinterfragt jedoch, wer dadurch am Ende abgebildet werde. Viele Menschen, beispielsweise mit Mental-Health-Problemen, würden herausfallen. Auch Wiltrud Baier stimmt dem zu und weist darauf hin, wie leicht vermeintlich Schwächere in der Leistungsgesellschaft durchs Raster rutschen.

Differenzierung sei wichtig in der Repräsentation

Aus dem Publikum kommt der Vergleich mit US-amerikanischen oder britischen Medien, die stark durch Quotierungen geprägt seien. In der deutschen Medienlandschaft dagegen fehle die Sensibilisierung für differenzierte Darstellung von Minderheitengruppen. „Deutschland hat eine schwierige Geschichte mit Minderheiten, die historisch bedingt ist: Hier will man das Gutmenschentum herausstellen.“ Man meide es, hierzulande bestimmte Gruppen auch mal in „schlechtem“ Licht zu zeigen.

Impuls: Herausforderungen in Medienunternehmen

Anna Koktsidou, seit 2016 SWR-Beauftragte für Vielfalt und Integration, liefert einen Impuls zu „Vielfalt in den Medien – Herausforderung und Chance“. Sie berichtet dem DOKVILLE Publikum von einer Studie der Neuen Deutschen Medienmacher*innen e. V. aus dem Jahr 2020. Sie fragte danach, wie viele Chefredakteur:innen einen Migrationshintergrund haben. Das Ergebnis: Nur 6,4 Prozent der Menschen in leitenden Positionen haben einen migrantischen Background. „Auch wenn diese Umfragen nicht immer repräsentativ sind, lassen sie doch eine Tendenz erkennen: Menschen mit Migrationsgeschichte sind ungenügend abgebildet, sie sind sowohl im Programm als auch im Personal und in den Führungsetagen äußerst marginal vertreten“, so Koktsidou.

Chancen von Vielfalt

Für Koktsidou ergeben sich Diversity-Maßnahmen unter anderem aus dem SWR-Leitsatz: „Wir wollen ein vielfältiges Publikum, das erreichen wir mit einem vielfältigen Programm und dafür brauchen wir vielfältiges Personal.“ Beim Personal liege der Knackpunkt, denn dort würden Entscheidungen über Inhalte getroffen und entschieden, welche Perspektiven zu Wort kommen dürfen. Eine der Maßnahmen des SWR sei beispielsweise das Format „… trifft SWR“. Der Sender schafft in diesem Format Begegnungen mit Institutionen, Personen und Gruppen, um sich darüber auszutauschen, wie die jeweiligen Gesprächspartner:innen den SWR wahrnehmen. „Sich begegnen, Sichtweisen der anderen zu verstehen, fördert den Perspektivenwechsel, Offenheit und Verständnis und trägt dazu bei, Ängste ab und Vertrauen aufzubauen“, so Koktsidou.

Anna Koktsidou SWR Beauftragte Diversität
Anna Koktsidou Impuls DOKVILLE 2023

Kein „Colourwashing“, sondern ein „echter“ Blick auf die Gesellschaft

„Es ist wichtig ein Programm zu schaffen, das frei von Stereotypen und Klischees ist. Das ist nicht einfach. Medienschaffende halten sich für offen und tolerant und denken, sie diskriminieren nicht. Man beachte jedoch die Nennung der Nationalität bei Straftaten“, sagt Koktsidou. Diversität umzusetzen sei ein äußerst komplexer Weg. Permanent würden Fragen auftauchen, die am eigenen Selbstverständnis kratzen. Man müsse immer wieder in den Austausch gehen, aufmuntern, erklären und klare Kante zeigen, vor allem in Bezug auf Rassismus und Diskriminierung.

Gerade jüngere Zielgruppen würden vermehrt darauf achten, dass Diversität in Unternehmen wirklich gelebt werde und sich Unternehmen mit dem Thema nicht einfach nur schmücken würden. „Als ich anfing zu arbeiten, konnte man uns Menschen mit Migrationshintergrund an einer Hand abzählen in der gesamten ARD. Es hat sich vieles geändert, der Nachwuchs ist längst da und muss gehalten, aufgebaut und gefördert werden.“