AngeDOKT – Game trifft Doku: „Als Gott schlief“

Das DOKVILLE Panel zu „Als Gott schlief“ diskutiert, ob und wie man eine interaktive Geschichte des Holocaust in einem Game erzählen kann. Die Keynote von Dr. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter des Landes BW, hinterfragt den Umgang mit zugeschriebenen Rollen.

Geburtsstunde des Spiels

Yaar Harell (Creative Director und Producer) hatte die Idee zum Spiel, das eng mit dem Dokumentarfilm „Endlich Tacheles“ aus dem Jahr 2020 verwoben ist. In einer Szene spricht er mit seinem Vater darüber. Dieser reagiert empört. Er möchte nicht, dass aus der persönlichen, leidvollen Familiengeschichte ein Spiel gemacht wird. „Zu Beginn der Dreharbeiten von ‚Endlich Tacheles‘ war der Grund für das Spiel reine Provokation. Es ging um das Ausbrechen aus dem System, aus gewissen Rollen“, so Harell bei DOKVILLE. Erst durch Reisen nach Israel und Gespräche mit den Großeltern sei ihm klar geworden, dass er das schwere Erbe in Ehren halten möchte. „Während der Dreharbeiten wurde mir bewusst, wie viel dahintersteckt, und wie wichtig Aufklärung ist.“

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Interaktive Geschichte des Holocaust

In „Als Gott schlief“ soll es möglich sein, zwischen zwei Figuren zu wählen. Gamer können die Geschichte der zehnjährigen Jüdin Regina oder die des SS-Offiziers Hannes im Jahr 1939 durchleben. Moderator Dom Schott möchte von Harell wissen, warum er ihre Geschichten als Spiel erzählen wolle. Harell betont, dass der Grund für das Format die Möglichkeit zur Interaktion sei. „Der Spieler kontrolliert die Charaktere. Es ist nicht mehr nur passiv, man ist mit dabei. Die Aktionen, die getätigt werden, hat man selbst ausgewählt.“ Darum ist auch die Perspektive des SS-Mannes so wichtig für Harell: „Da wo Opfer sind, sind auch Täter. Und da, wo Täter sind, sind Opfer. Man muss beide Seiten beleuchten, um den Holocaust zu verstehen.“

Story-Designer und Projektmanager Wolfgang Walk hat bereits viele Game-Projekte realisiert. Er wusste schnell: „Das will ich machen. Aber es gibt Dinge, die gehen und Dinge, die nicht gehen. Im Spiel muss es eine klare Haltung geben, nämlich die Menschlichkeit. Das muss in allen narrativen Entscheidungen berücksichtigt werden“.

Dokumentarischer Charakter

Sebastian Rhotert (3D-Artist und Motion Designer) erklärt dem DOKVILLE Publikum, dass der dokumentarische Charakter für das Game elementar sei. „Die Darstellungsweise soll so realistisch sein wie möglich. Wir orientieren uns an originalen Schauplätzen. Wir wollen nichts verfremden.“ Auch Wolfgang Walk betont, dass sich aus dem Setting physikalische und kulturelle Zwangläufigkeiten ergeben, die umgesetzt werden müssten. Es dürfe nichts passieren, was nicht möglich gewesen sei. Sowohl der Charakter, der auf der Biografie der Großmutter basiert, als auch der des SS-Offiziers Hannes fußen auf echten Geschichten. Die Art und Weise, wie das Spiel aussehen werde, müsse sich zwangsläufig der Geschichte unterwerfen. Andere Games böten den Spielenden Entscheidungsmöglichkeiten – Handlungsmacht über den weiteren Verlauf der Geschichte inklusive. „Im Fall von ‚Als Gott schlief‘ wird jedoch das Spiel die Kontrolle übernehmen und lenken müssen, weil es darum geht, die Wahrheit zu erzählen“, so Rhotert.

Für welche Zielgruppe das Spiel genau entwickelt werde, stehe noch nicht fest. Wichtig sei aber, dass die Generation angesprochen werde, die aktuell zur Schule gehe. Zeitzeug:innen würden sterben und Schüler:innen hätten keinen Zugang mehr zum Thema Holocaust. Außerdem eigne sich das interaktive Format für spielaffine junge Menschen.




Darf so ein Spiel Spaß machen?

Wolfgang Walk erklärt das Konzept so, dass es weniger darum gehe, dass das Spiel Spaß bringe als darum, die Gamer vor Entscheidungen zu stellen, um Denkprozesse anzustoßen. Man könne erreichen, dass Leute sich durch das Spiel schuldig fühlen. Dieser Aspekt hebe das Game von anderen deutlich ab. Dementsprechend könne man es auch nur abschließen und nicht gewinnen. „Die Geschichte des Mädchens ist klar definiert durch den dokumentarischen Beleg.“

Harell hält fest: „Das Wichtigste, das man erzählen muss, ist, dass am Ende alle verloren haben. Ob auf kultureller Ebene oder gesundheitlich. So wie die Holocaust-Überlebenden und deren Nachfahren traumatisiert wurden, sind auch die Nachfahren der Nazis und Deutschen traumatisiert. Deshalb gibt es keine Gewinner. Und deswegen muss das auch so erzählt werden.“

Keynote „Darf man zum Holocaust spielen?“

Auch Dr. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg, fragt in seiner Keynote: „Darf man zum Antisemitismus, zum Holocaust spielen? Muss man es vielleicht? Sind Rollen von Tätern und Opfern sowie die der Nachfahren fest oder muss sich etwas verändern?“ Jeder Mensch habe und spiele gewisse Rollen. Manche gebe man sich nicht selbst, sie würden von außen auferlegt. Es gebe Erwartungen an diese Rollen und deshalb sei es manchmal wichtig, sich von und aus diesen Rollen zu befreien und authentischer zu sein. Und so bricht auch Blume aus seiner Rolle aus, indem er frei erzählt.




„Endlich Tacheles“

Der Dokumentarfilm „Endlich Tacheles“ sei laut Blume der beste Film zum Thema Rollen und wie man sie verändert oder aus ihnen ausbricht. Die Protagonisten Yaar und Marcel vertreten als Entwickler zu Beginn die Auffassung, dass Opfer und Täter gleichermaßen agieren können. Laut Blume flüchten sie sich in den Relativismus, durch den Täter und Opfer gleichgesetzt würden. Im Film sieht man sie jedoch auch an den Punkt gelangen, an dem sie realisieren, dass das nicht mehr geht. „Es ist wichtig sich zu enttäuschen, sich gegenseitig zu enttäuschen. Der Schmerz zu erkennen, dass Relativismus keine Antwort ist, ist authentisch“, sagt Blume.

Keynote von Dr. Michael Blume


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Täter-Opfer-Umkehr

Darf man also mit dem Holocaust spielen? Blume nimmt Bezug zur Band Rammstein, die 2019 ein Video zu ihrem Song „Germania“ veröffentlichte. In diesem inszeniert sie sich selbst als KZ-Opfer mit „Judenstern“*, während „Deutschland, ich kann dir meine Liebe nicht schenken“ gesungen wird. Eine im Marketing einkalkulierte Empörung, um Reichweite zu generieren. „Provokation um ihrer Selbstwillen, es galt als cool, relativistisch, ‚man wird ja wohl noch spielen dürfen‘ hieß es damals“, so Blume. Sich selbst in die Opferrolle zu versetzen, sei aber nicht lustig, es sei mies, hält Blume fest.

*Der „Judenstern“ ist ein von den Nationalsozialisten im sogenannten „Dritten Reich“ selbst eingeführter Begriff, um Menschen jüdischen Glaubens zu stigmatisieren und zu verfolgen.

Die Wahrheit schränkt Spielräume ein

Blume appelliert an alle Medienschaffenden: Die wichtigste Botschaft aus „Endlich Tacheles“ und dem Spiel „Als Gott schlief“ sei zu erkennen, dass etwas nicht mehr geht. „Je mehr Wahrheit man spricht, desto mehr Spielräume schränkt man ein. Man hört auf zu relativieren und zeigt, dass Relativieren nicht immer funktioniert“ , so Blume. „Wir müssen entscheiden, welches Spiel wir spielen und welche Rollen wir einnehmen.“