Überblick Tag 1 – Animation und Krieg + AnimaDok für Kinder
Die Begrüßung von DOVILLE 2019 nutzte HDF-Geschäftsführerin Dr. Irene Klünder auf die vielfältigen Online-Aktivitäten des Hauses hinzuweisen. DOKVILLE findet in diesem Jahr zum 15. Mal statt, für die Kuratorin Astrid Beyer ist es das 10. Mal und sie hat die Veranstaltung sehr geprägt. Sie führte ins Schwerpunktthema Dokumentarfilm und Animation ein, das immer wichtiger werde und an Popularität gewinne.
Animationen zur Verdeutlichung des dokumentarischen Erzählens
Dr. Till Grahl, Leiter des Deutschen Instituts für Animationsfilm in Dresden, wies in seiner Keynote darauf hin, wie vielfältig die Stile und Möglichkeiten im Animationsfilm sein können und dass er viel Freiheit für Gestaltung biete. Schon sehr früh gab es Tricksequenzen im Kulturfilm, um z.B. bestimmte Prozesse zu erklären oder Bilder zu liefern, die sich nicht real drehen lassen. Es gab auch sehr früh Animationsfilme mit dokumentarischem Hintergrund wie “Der Untergang der Lusitania” von 1918.
Er erörterte die Frage der Authentizität von Bildern, die immer öfter in Frage gestellt werde. Auch dokumentarische Aufnahmen wären nicht objektive Abbildungen der Wirklichkeit, sondern seien gemacht. Der Animationsfilm sei per se subjektiv und biete dadurch die Chance, verschiedene Aspekte zu erzählen, für die es keine Bilder gäbe. Seien es nicht mehr vorhandene Orte, nicht dokumentierte Ereignisse oder auch innere Prozesse und Gedanken der Protagonisten. Die Animation biete die Chance, Protagonisten, die unerkannt bleiben wollen, zu anonymisieren oder auch Bilder zu verdichten. Mit den erfundenen Bildern könnten Tonaufnahmen visualisiert werden. Die Kraft und Dynamik der Zeichnungen könnten die Zuschauer in eine Geschichte regelrecht hineinziehen.
„Der Krieg in mir”: Einsatz von Animationen für vergangene Erlebnisse
Zwei Beispiele, bei denen dies sehr gut funktioniert hat, handeln von Kriegserlebnisse. Genau in diesem Sinne nutzte Sebastian Heinzel in seinem Dokumentarfilm „Der Krieg in mir” die Animation für eine sehr persönliche Geschichte seines Großvaters und seiner Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Er untersucht die Frage, in wieweit traumatische Erlebnisse in Familien vererbt werden können. Er hat selbst die Erfahrung gemacht, dass er ständig vom Krieg träumte und eine besondere Beziehung zu Weißrussland entwickelte, wo sein Großvater eingesetzt war.
Für seinen aktuellen Dokumentarfilm lieferte Igor Shin Moromisato die überwiegend handgezeichnete Animation in einer Gesamtlänge von fünf Minuten. Sascha Seidel als Schnittmeister versuchte die verschiedenen Elemente des Films zusammenzuführen. Die Komponistin Cassis B. Staudt lieferte eine zurückhaltende, authentische Musik, die versucht auf der musikalischen Ebene intuitiv und intim zu bleiben.
„Chris the Swiss”: Animationen erzählen persönliche Geschichte
Welche Kraft die Animation für einen dokumentarischen Film entwickeln kann zeigt „Chris the Swiss” von Anja Kofmel, die im Frühjahr beim Schweizer Filmpreis als Bester Dokumentarfilm, Beste Musik und Bester Schnitt ausgezeichnet wurde. Sie erzählt die Geschichte ihres Cousins Chris, der Anfang der 1990er Jahre nach Kroatien ging, um als Radiojournalist über den Bürgerkrieg zu berichten und dort getötet wurde. Anja Kofmel begibt sich auf eine packende Spurensuche.
Ihr Film ist fast zur Hälfte animiert und liefert zum einen ihre subjektiven Gefühle und Ängste zum Ausdruck, jedoch auch die Bedrohlichkeit der Kriegssituation. Der von ihr als Mädchen angehimmelte Held verliert seine Strahlkraft und seine dunkle Seite tritt in den Vordergrund. Er schloss sich internationalen Brigaden an, die Kroatien von Serben säuberten. Durch eine geplante Buchpublikation wurde er zur Gefahr für die Brigade und wurde wohl von ihr erwürgt.
Im spannenden Gespräch mit Adrienne Braun erläuterte das Team seine Herangehensweise und wie schwierig es für Musik und Sound Design die verschiedenen Elemente zu einem Ganzen zusammenzuführen. Das ist Ihnen herausragend gelungen trotz vieler Probleme – auch politischer Natur – und einer langen Produktionsgeschichte über sieben Jahre. Beim SWR Doku Festival gewann der Film den mit 5.000 Euro dotierten Norbert Daldrop Preis.
Drei Produktionen von Filmhochschulen nutzen Animationselemente
Das Thema Krieg und die Faszination von Gewalt zog sich auch durch drei Produktionen von Filmhochschulen, die bei DOKVILLE präsentiert wurden. „Tracing Addai“ von Ester Niemeier erzählt von einem jungen Deutschen, der nach Syrien ging. Er war für die Regisseurin wie ein kleiner Bruder. Seine Mutter wollte sich nicht vor der Kamera drehen lassen und deshalb bot die Animation eine gute Lösung für das Projekt, für das sie die Rotoscopetechnik und Wasserfarben einsetzte. Es war ihr Abschlussfilm an der Filmuniversität Babelsberg.
In einem sehr poetischen und fast mythischen Stil erzählt Sofiia Melnyk von der Filmakademie Baden-Württemberg vom Volk der Chasaren, das im Mittelalter verschwand und kaum Spuren hinterließ. Eine Work-in-progress präsentierten die Regisseurin Shoko Hara und der Drehbuchautor Simon Thummet vom Studio Seufz. In „Just a Guy“ geht es um einen verurteilten Serienmörder und Vergewaltiger, der aus dem Gefängnis zahlreiche Kontakte zu Frauen aufbaute – auch zur Regisseurin. Sie haben dafür einen spannenden Collagestil entwickelt, der verschiedene Elemente wie Briefe, Fotos, TV-Nachrichten verknüpft um von den Gefühlen der Frauen zu diesem Gewalttäter zu berichten.
AnimaDok vereint zwei Genres
Der erste Tag von DOKVILLE hat in der Tat gezeigt, wie vielfältig die Ansätze sind für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Animation und Dokumentarfilm und wie AnimaDok die Ausdrucksmöglichkeiten erweitert. Angesprochen wurden von vielen der höhere Aufwand, die notwendigen höheren Budgets und die längere Produktionszeit für die Animation. Dokfilmer*innen und Animator*innen müssen auch erst einmal lernen, sich zu verstehen und die Projekte gemeinsam zu entwickeln, da sich die Herangehensweisen und Abläufe in diesen beiden Genres durchaus unterscheiden. Aber eine Annährung findet statt.
DOKVILLE machte deutlich, dass Animationen nicht nur etwas für Kinder sind. Denn gegen dieses Vorurteil muss die Animationsbranche in Deutschland immer noch kämpfen. Aber das Nachmittagsprogramm am ersten Tag machte ebenso deutlich, dass es auch für Kinderprogramme sehr gut funktionieren kann. Kinder und Jugendliche reagieren sehr gut auf animierte Sequenzen in dokumentarischen Formaten und verstehen sie manchmal auch besser als die Erwachsenen.
„Warum ich hier bin“ jeder Charakter ist durch einen anderen Animator oder eine andere Animatorin dargestellt
„Warum ich hier bin“ von Susanne Mi-Son Quester und Mieko Azuma zeigt fünf Flüchtlingsgeschichten von sehr unterschiedlichen Personen. Die Spannweite reicht von Frau Schiller, die im Zweiten Weltkrieg vertrieben wurde, über den bekannten Fußballspieler Cacao bis zu drei Jugendlichen, die es aus verschiedenen Gründen nach Deutschland verschlagen hat.
Für die beiden Regisseurinnen war sehr früh klar, dass die persönlichen Schicksale gut mit Animation erzählt werden können. Allerdings kannten sie sich überhaupt nicht aus in dem Bereich und waren erst einmal überrascht, dass sie für eine Minute Animation mit einem Monat Produktionszeit rechnen müssen. Da sie mit ungefähr 15 Minuten gezeichnetem Material planten, hätte dies die Produktionszeit nach dem Rohschnitt des real gedrehten Materials sehr verlängert. Deshalb entschieden sie sich, für jeden Charakter einen andere Animatorin oder Animator zu wählen.
Sie fanden sie relativ schnell im Internet, um Stile zu finden, die jeweils zur Figur passten. Die aus der Zeitnot geborene Idee erwies sich für den Film als eine ausgesprochene Stärke. Denn so gibt es eine Vielzahl an Animationsstilen, die die Charaktere sehr gut unterstützen. Die Organisation sei nicht so schwierig gewesen und die Animationspartner*innen hätten den Zeitplan gut eingehalten. Bei Kindern stößt übrigens Frau Schiller auf das größte Interesse, wohl auch weil es eine spannende Passage mit Wölfen gibt, denen sie auf der Flucht im Wald begegnet.
Historische Kulissen sind animiert in „Zeitreise – Kids!“
Ein neues Konzept, schon Kindern ab 8 Jahren große Themen der Gesellschaft und Geschichte zu vermitteln präsentierten Frauke Siebold, Eva Werdich und Florian Goetz. Ihr Projekt „Zeitreise – Kids!“ ist in der Entwicklung und für einen ersten Trailer wurde schon umfassend recherchiert. Ausgangspunkt ist jeweils ein Artefakt wie ein Abschiedsfoto einer armen Bauernfamilie im 19. Jahrhundert vor ihrer Auswanderung nach Amerika. Oder ein Junge freut sich Anfang des 20. Jahrhunderts darauf, in die Schule gehen zu können, nachdem die Kinderarbeit verboten wurde. Oder ein Mädchen flieht nach dem Mauerbau mit ihrer Familie durch einen Tunnel nach Westberlin.
Die 25-minütigen Episoden werden konsequent aus der Perspektive der Kinder erzählt. In den Winkler Studios wurden dafür Laienschauspieler in zeitgenössischen Kostümen vor Greenscreen aufgenommen und nachträglich die Hintergründe animiert. Der Protagonist erweckt so historische Fotografien, Orte, Landschaften zum Leben, geht an Bord eines Schiffsmodells oder bedient Spinnmaschinen in einer Miniaturfabrik. Die Artefakte schlagen einen Bogen von Vergangenheit zur Gegenwart. Die ersten zehn Episoden sind bereits fertig, doch die Serie soll ausgebaut werden und die Produktion sucht weitere Partner und Sender für ihr vielversprechendes Projekt. Eine Grundschullehrerin im Publikum wurde von dem Konzept auf jeden Fall überzeugt.
„Kleine Germanen“: Erzählen der Kindheit mithilfe von Animationen
Um Kinder in Familien aus der rechten Szene geht es in „Kleine Germanen“ von Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh. Ihre wichtigste Protagonistin ist Elsa, die von ihrem Großvater schon mit seinen Kriegserlebnissen konfrontiert und im Sinne des völkischen Denkens erzogen wurde. Diese Ideen gibt sie selbst an ihre zahlreichen Kinder weiter bis sie erkennt, dass dies doch falsche Ideen sind und aus der Szene aussteigt. Sie wollte nicht mit Kamera aufgenommen werden, da sie sich eine neue Existenz aufgebaut hat.
Ihre Geschichte ist in einem Stil animiert, der an Ölgemälde erinnert und sich wie ein roter Faden durch den Film zieht. Ergänzt wird es mit Gesprächen über Erziehung mit Vertretern der rechten und rechtsradikalen Szene und anderen Aussteigern. Die Experten-Interviews werden mit dokumentarischen Aufnahmen von Kindern unterlegt, was zumindest ich sehr irritierend fand. Ziel war es, ihre Anonymität zu wahren und die Kinder im Film präsent zu haben und nicht nur Talking Heads wie Frank Geiger erläuterte.
An dem Film wurde vier Jahre gearbeitet und die rund 40 Minuten Animation nur möglich waren, da sie in ihrer Produktionsfirma eine eigene Abteilung aufbauten, um zunächst die Animatronics zu entwickeln und dort dann die Bilder komplett zu animieren. In Spitzenzeiten animierten bis zu 30 Personen an den Sequenzen. Vorführungen mit Schüler*innen habe ihm gezeigt, dass dieses Konzept bei dieser Zielgruppe sehr gut ankam und sie den Film und seine Intention gut verstanden hätten. Der Film „Kleine Germanen“ wird mit einem umfassenden Lehrmaterial begleitet, mit denen Lehrer*innen weiterarbeiten können.
Video der Begrüßung zum ersten DOKVILLE Tag 2019
https://youtu.be/zS2r_VRA7dA https://puttygen.in