DOKVILLE Panel „Rohwedder“: Wiedervereinigung als True Crime

Im vergangenen Jahr war „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ die erste deutsche Doku-Serie als „Netflix Original“. Produziert und entwickelt wurde der Vierteiler von der gebrueder beetz filmproduktion. Er erzählt die Geschichte um den bis heute ungeklärten Mord am Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder 1991.

Umgekehrte Welten: Produktions-Anfrage von Netflix 

Für den Produzenten Christian Beetz war es eine Premiere, dass der Streamingdienst auf sie zukam und er nicht seine Projekte anbieten musste, wie er in der von DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer geleiteten Panel Diskussion erzählt. Die Zusammenarbeit verlief mit einer großen Offenheit und Flexibilität. Alle zwei Wochen gab es Gespräche über den Fortgang. So wurde im Entwicklungsprozess die Zahl der Folgen von fünf auf vier reduziert und die Schnittzeit verdreifacht. Es reichte ein kurzes Exposé mit der Vision statt einem ausführlichen Treatment. Netflix hatte recherchiert und großes Vertrauen in die Produktion. Dies zeigte sich selbst dann, als das ZDF zeitgleich eine große Rohwedder-Produktion mit Spiel- und Dokumentarfilm ankündigte. Netflix nahm es gelassen, da die Geschichte anders erzählt werden sollte.

Georg Tschurtschenthaler Senior Producer gebrueder Beetz
Georg Tschurtschenthaler, Senior-Producer © gebrueder beetz filmproduktion
Christian Beetz Filmproduzent Dokumentarfilm
Christian Beetz, Produzent © gebrueder beetz filmproduktion

Nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen

Der neue Ansatz war, das Attentat eng mit der deutschen Geschichte und den dunklen Seiten der Wiedervereinigung zu verknüpfen. Die Idee von Georg Tschurtschenthaler und Christian Beetz war das Rashamon-Konzept, den Fall aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen. Von vornherein war klar, dass man am Ende nicht den wahren Täter würde präsentieren können. Dies Erzählkonzept ermöglichte, die Geschichte für ein jüngeres Publikum zu erzählen – und dies ging auf. Während sich die deutsche Presse stark auf den Fall konzentrierte und die Frage, ob die RAF oder Stasi die Attentäter waren, konzentrierte sich die Debatte in den sozialen Medien auf die Aspekte der Wiedervereinigung. Viele der jungen Zuschauer:innen sind später geboren und kannten diese Hintergründe überhaupt nicht. Für Christian Beetz war es die größte Überraschung, wie er bei DOKVILLE erzählt: „Kindern haben ihren Eltern gesagt, diese Serien müsst Ihr sehen!“

"Rohwedder. Einigkeit und Mord und Freiheit" von Gebrueder beetz filmproduktion
"Rohwedder. Einigkeit und Mord und Freiheit" Gebrueder Beetz

„Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“: Gut budgetiert

Über das genaue Budget wurde Stillschweigen vereinbart, aber es lag wohl nur etwas über den üblichen Etats für eine hochwertige Fernsehproduktion. Es war ein kompletter Buy Out; die gebrüder beetz filmproduktion dürfte vom internationalen Erfolg der Serie nicht zusätzlich profitiert haben. Ein wichtiger Aspekt war das Archivmaterial puttygen , das von einem ganzen Team recherchiert wurde, um die Atmosphäre der 1990er Jahre einzubringen. Es gab ungefähr ein halbes Jahr für intensive Recherchen und dann ein Jahr Drehzeit. Vieles musste inszeniert werden, da beispielsweise die Tatortfotos nicht freigegeben wurden.

Vier Perspektiven der True Crime Doku

Entstanden sind die jeweils 40-minütigen Episoden „Märtyrer“ (Finanzminister Theo Waigel über Detlev Rohwedder), „Kapitalist“ (aus dem Bekennerschreiben der Roten Armee Fraktion), „Besatzer“ (aus Sicht ehemaliger Stasi-Mitarbeiter) und „Opfer“ (von der Politik als Sündenbock installiert). Ein Problem war, dass die Zeitzeugen überwiegend alte Männer waren. Deshalb wurden sie nicht zu Hause interviewt, sondern aufwändig in einem angemieteten Gebäude interviewt. Frau Rohwedder war bereit für ein Interview, starb jedoch bevor dies aufgenommen werden konnte. Auf solche Schicksalsschläge für die Produktion reagierte Netflix immer gelassen, wie die Macher berichteten. ARD oder ZDF hätten sich in dieser Form nicht für den Stoff interessiert, ist Christian Beetz sich sicher. Georg Tschurtschenthaler ist davon überzeugt, dass „das neue Interesse am Dokumentarfilm und dokumentarischer Serie durch die Streamingdienste ausgelöst wurde und damit auch ein Interesse am jungen Publikum.“

Christian Beetz beim DOKVILLE-Panel zu "Rohwedder" © Günther Ahner/HDF
Christian Beetz beim DOKVILLE-Panel zu “Rohwedder” © Günther Ahner/HDF

Editoren wichtig für die Gestaltung

Ursprünglich war eher daran gedacht, dass mehr inszeniert werden muss und deshalb wurden Editor:innen aus dem fiktionalen Bereich gesucht. Doch dann wurde das historische Archivmaterial wichtiger und es wurden Editior:innen mit Dokerfahrung drangesetzt. Einen großen Einfluss hatte schließlich ein junger Editor, der Musikclip- und Werbeerfahrung hatte und das Sounddesign stärker betonte – was sicher Anteil am riesigen Erfolg der Serie hatte. Die Schnittzeit verdreifachte sich dadurch, wurde aber trotzdem voll finanziert.

DOKVILLE-Kuratorin Astrid Beyer und Christian Beetz beim Rohwedder-Panel © Günther Ahner/HDF
DOKVILLE-Kuratorin Astrid Beyer und Christian Beetz beim Rohwedder-Panel © Günther Ahner/HDF
DOKVILLE-Kuratorin Astrid Beyer und Christian Beetz beim Rohwedder-Panel © Günther Ahner/HDF
DOKVILLE-Kuratorin Astrid Beyer und Christian Beetz beim Rohwedder-Panel © Günther Ahner/HDF
DOKVILLE-Kuratorin Astrid Beyer, Christian Beetz und Georg Tschurtschenthaler (zugeschaltet) beim Rohwedder-Panel © Günther Ahner/HDF
DOKVILLE-Kuratorin Astrid Beyer, Christian Beetz und Georg Tschurtschenthaler (zugeschaltet) beim Rohwedder-Panel © Günther Ahner/HDF
Rohwedder-Panel bei DOKVILLE 2021 © Günther Ahner/HDF
Rohwedder-Panel bei DOKVILLE 2021 © Günther Ahner/HDF

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