DOKVILLE 21: Zamarin Wahdat – Filmschaffende, die beeindruckt
Im DOKVILLE-Gespräch mit Dörthe Eickelberg erzählt Zamarin Wahdat von ihrer bisherigen Karriere und ihren Erkenntnissen aus ihrer Arbeit als Kamerafrau und Regisseurin. Erst kürzlich wurde sie für ihr Regiedebüt „Bambirak“ auf dem Sundance 2021 ausgezeichnet.
„I am Sarah/Die Freischwimmerin“ – erster langer Dokumentarfilm
Aktuell arbeitet Zamarin Wahdat als Kamerafrau an ihrem ersten langen Dokumentarfilm-Projekt „I am Sarah/Die Freischwimmerin“. Portraitiert wird darin die ehemalige Profischwimmerin und Aktivistin Sarah Mardini, die für Aufsehen sorgte, als sie 2015 schwimmend ein Flüchtlingsboot nach Lesbos zog. Zamarin selbst begleitet Sarah Mardini schon seit zwei Jahren und steht nun vor der Herausforderung, die Person Sarah mit der nötigen Distanz vor der Kamera festzuhalten. Der Umgang mit Emotionen spielt dabei eine wichtige Rolle: „Man ist immer im Dilemma, die Grenzen nicht zu überschreiten oder sie selbst zu ziehen”, betont Zamarin.
Regiedebüt „Bambirak“ – „Von Herzen Schreiben“
In ihrem fiktionalen Kurzfilm „Bambirak“ erzählt Zamarin Wahdat von einer besonderen Vater-Tochter-Beziehung. Kati schmuggelt sich morgens in das Auto ihres Vaters, der in Hamburg als Kurierfahrer arbeitet. Stück für Stück stärken beide bis zum Ende des Tages ihre Beziehung zueinander. Ihr bereits verstorbener Vater war ebenfalls Kurierfahrer in Deutschland. Zamarin Wahdat hat damit einen großen Teil ihrer eigenen Erinnerungen in das Drehbuch gepackt: „Man schreibt sehr viel von Herzen bis man edited.“
Protagonist:innen als Gegensatz zur eigenen Geschichte
Wenn man die beiden Schauspieler:innen und Zamarins eigene Geschichte miteinander vergleicht, machen sich große Gegensätze auf. Zamarin war als Kind introvertiert, Lara Cengiz-Karinnes, die Kati spielt, dahingegen ist aufgeweckt und sehr aktiv. Doch für die Regisseurin war genau das richtig: „Wenn man manchmal sehr nah an seinem eigenen Leben schreibt und die Personen, die man castet, dann auch noch so sind, wie in den eigenen Erinnerungen, ist es schwer, die nötige Distanz zu bekommen.“ Wahdat stellte sich also auf ihre Protagonist:innen ein und ließ sie laufen: „So wurden die Charaktere echter und komplexer. Das hat dem Film das eigene Leben gegeben und ihn bereichert.“ Gleichzeitig zieht Zamarin einiges aus der Arbeit mit der Kamera: „Für mich fühlt es sich so an, als ob ich sehr viel Energie gewinne, obwohl sehr viel Energie verloren geht.”
Afghanistan: Nicht Zuhause und doch verbunden
Die Eltern von Zamarin Wahdat kommen ursprünglich aus Afghanistan. Sie floh im Alter von zwei Jahren mit ihnen nach Deutschland, wo sie in Hamburg ein neues Zuhause fanden. Die Erinnerungen sind von Zamarin besonders von ihrer Mutter und Großmutter geprägt, die die Möglichkeit hatten, in Afghanistan ein gutes Leben zu führen: „Diese Version von Afghanistan lebt in mir.” Deshalb wurde Zamarin bei ihrer Rückkehr nach Afghanistan, um dort zu arbeiten, mit zwei Sachen konfrontiert. Zum einen existiert das Afghanistan ihrer Eltern nicht mehr und zum anderen gibt es dort sehr viele Familien, die nicht so privilegiert waren wie ihre eigene.
Schlüsselfigur bei Oscar prämierter Doku 2020
In ihrem Master in New York wurde Zamarin Wahdat von ihrer Dozentin Carol Dysinger gefragt, ob sie als zweite Kamerafrau mit nach Kabul kommen möchte, um eine Doku über junge afghanische Mädchen zu drehen: „Ich war für Carol, glaube ich, super wichtig.” So fuhr Zamarin Wahdat 2014 das erste Mal in ihrem Leben nach Afghanistan. Dadurch, dass sie Dari sprechen konnte, wurde Zamarin zur Vermittlerin zwischen den Mädchen und dem Team: „Ich war die Einzige, die richtig mit den Kleinen kommunizieren konnte. Es war die Sprache, die uns zusammengeführt hat, und unsere Herkunft. Das war wichtig für die Doku.“ Zamarin hat den jungen Mädchen Hausaufgaben aufgegeben, damit diese wiederkamen und die Ergebnisse – fünf Fakten des Skateboardens zu erklären – als „Icebreaker” bei den Interviews verwendet werden konnten. Dabei entstand auch der Titel der Doku: „Learning to Skateboard in a Warzone (If You’re a Girl)”.
Ein rein weibliches Team in Afghanistan
Das Filmteam in Afghanistan bestand nur aus Frauen und Zamarin war die Einzige, die neben dem Können der Sprache, optisch wie die Einheimischen aussah. Durch die Sicherheitsmaßnahmen, die vorgenommen werden mussten, hat sich Zamarin eher unwohl gefühlt: „Bist du wichtiger als alle anderen Menschen hier? Nur weil du aus dem Ausland kommst und einen Film drehst?“, fragte sie sich.
Filmen im afghanischen Kriegsalltag
Ein afghanischer Fixer hat dem Filmteam sehr geholfen. Mit diesem konnte Zamarin gemeinsam durch die Straßen ziehen und Filmaufnahmen machen. Aber dies war auch immer mit einem Risiko verbunden. Eine Kamera wurde nicht gerne gesehen, da dies meist bedeutet, dass man Journalist:in ist. Zudem fiel Zamarin Wahdat durch ihre Gestik und Mimik dennoch auf: „Man sieht sofort, dass man nicht aus Afghanistan kommt.“ Die afghanischen Frauen verhalten sich anders.
Wir sind gespannt, welche Projekte und Themen Zamarin Wahdat in Zukunft als nächstes angehen wird. Mit ihren Erfahrungen und ihrer Arbeit ist sie jedenfalls gut ausgerüstet für viele weitere spannende Projekte.
(Jule Schmidt | Annika Weißhaar)