DOKVILLE 21: Neue Impulse für die Mediatheken

Wie nehmen die Mediatheken ihre Konkurrenz wahr und wie kann das junge Publikum von Streaming-Anbietern wie Netflix und Amazon Prime zum ÖRR zurückgeholt werden? Die aktuellen Herausforderungen wurden beim Branchentreff DOKVILLE rege diskutiert.  

Bei DOKVILLE online wurde Programmgestalterinnen von der ARD- und ZDF-Mediathek eine Bühne geboten. Im Dialog mit Antje Boehmert, die für die ARD „Charité Intensiv“ produziert hat, und Christian Beetz, der mit „Rohwedder“ ein Netflix Original entwickelt hat, entstand eine Diskussion über zukunftsweisende Ansätze.

Konzert der vielen Player

Maxi Droste bei DOKVILLE 2021 (Foto: Günther Ahner/HDF)

Wie soll sich das Publikum entscheiden, wenn es viel zu viele Streaming-Angebote sowohl in den Mediatheken als auch auf dem freien Markt gibt? Für Maxi Droste, Redaktionsleiterin Kuratierung ARD-Online, ist die Antwort ganz einfach: Man muss bei den Zuschauer:innen Klickimpulse auslösen und die Menschen an die eigene Plattform binden. Aber sie grenzt sich auch ganz klar ab: „Ich glaube, wir werden Netflix nicht den Rang ablaufen. Aber das muss ja auch gar nicht unser Anspruch sein.“

Es gelte, genau die Menschen von ihren unterschiedlichen Tagesabläufen und Lebenswelten abzuholen, die man mit dem linearen Fernsehen nicht mehr erreichen könne. Die Stärke der öffentlich-rechtlichen Mediatheken sei dabei ganz klar die Regionalität und der Doku- und Informationsbereich, so die ARD-Vertreterin.

Zielgruppenanalyse gewinnt immer mehr an Bedeutung

Christian Beetz, Geschäftsführer der gebrueder beetz filmproduktion, hat die erste deutsche Netflix Original Doku-Serie „Rohweddder – Einigkeit und Mord und Freiheit” produziert. Die Herausforderung besteht ihm zufolge darin, das richtige Storytelling und die entsprechende Dramaturgie zu finden. Die wichtigste Frage dabei: „Was ist eigentlich das Zielpublikum?“ 

Für Beetz ist die Mediathekeninitiative sehr attraktiv, um die „Währung“ Einschaltquote zu umgehen: „Sobald du jünger und frischer erzählst, landest du im linearen Fernsehen immer später und weiter hinten.“ Es sei gut, dass der Ausspielweg der Mediatheken nun ernst genommen wird, um auch das jüngere Publikum zu erreichen.

Ausspielweg Mediathek

Die ARD-Vertreterin Droste zur Wahl des Ausspielweges: „Momentan ist es noch eine mutige Entscheidung, weil es noch nicht die übliche Entscheidung ist, nur für die Mediathek zu produzieren.“ Für die ARD-Mediathek wurde die Serie „Charité Intensiv“ von DOCDAYS Productions produziert, die erst im Nachhinein auch im linearen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Durch die Entscheidung zum „Streaming“ hatte man ganz andere Möglichkeiten: Es konnte noch besser mit Cliffhangern gearbeitet werden und die Formatierung musste nicht auf das starre Schema des linearen Fernsehens zugeschnitten werden: „Aber es funktioniert im Zweifel nicht immer“, so Droste. 

Allerdings funktionierte es in diesem Fall so gut, dass der Sender sich entschloss „Charité Intensiv“ auch mit englischen Untertiteln anzubieten und weltweit über die Mediathek erreichbar zu machen – wie bei den Streaming-Giganten.

Foto der Bildregie mit Blick auf den Bildschirm bei DOKVILLE 2021 (Foto: Günther Ahner/HDF)
Die Bildregie hat DOKVILLE 2021 auf dem Schirm (Foto: Günther Ahner/HDF)
Foto von Bildschirm mit Teilnehmenden beim Mediatheken-Panel mit Gästen vor Ort und Zuschaltungen (Foto: Günther Ahner/HDF)
Mediatheken-Panel mit Gästen vor Ort und Zuschaltungen (Foto: Günther Ahner/HDF)

Zwei Millionen Abrufe  für „Charité Intensiv“

Einspieler aus „Charité Intensiv“ (Foto: Günther Ahner/HDF)

Obwohl die Serie „Charité Intensiv“ sehr schwer auszuhalten ist, hat diese sehr viele Zuschauer:innen in die ARD-Mediathek gezogen. Nicht nur das Streaming-Format hat zur Popularität beigetragen, sondern auch die digitale Bewerbung über Social Media. Der TV-Moderator Jan Böhmermann und der Virologe Christian Drosten sind unter anderem auf die Serie eingegangen und haben dadurch Menschen in die Mediathek gelockt. Das Innehalten und Zurückschauen auf die vielen Schicksale, die sich hinter den Statistiken verstecken, so ist Antje Boehmert überzeugt, schreckt junge Menschen nicht ab: „Schonen heißt schaden“ wurde ihr von einem Notfallseelsorger einmal gesagt.

Kuratierung der Mediatheken

Bei den kuratorischen Überlegungen dazu, wo welche Programmpunkte platziert werden, steht nach Ansicht von Sophie Burkhardt, der stv. Programmgeschäftsführerin des ZDF/FUNK, immer die Frage an erster Stelle, wo sich das Publikum gerade befindet. Über eine hauseigene Plattform habe man zwar mehr Kontrolle und könne zudem wertvolle Nutzerdaten erheben, doch müsse diese erst einmal bekannt gemacht werden. Darum kann es ihr zufolge durchaus gerechtfertigt sein, eine fremde Plattform mit eigenen Inhalten zu bespielen.

Zielgruppengerechte Ansprache

Sophie Burkhardt vom ZDF (Foto: Günther Ahner/HDF)

Eine weitere Herausforderung sei es, die zunehmende Ausdifferenzierung der Zielgruppen auch in den Mediatheken abzubilden. Dazu gehört die Unterscheidung in Alterskohorten, meint Sophie Burkhardt, denn „die 14-Jährigen von heute sind ganz anders als die 14-Jährigen von vor fünf Jahren.“
 
Um die unterschiedlichen Interessen des Publikums besser adressieren zu können, etabliert die ARD zusätzlich zu den Genrerubriken wie Komödie oder Doku sogenannte Themenwelten, in die man sich „ganz gezielt reinfuchsen“ kann, so Droste. Dadurch sollen bestimmte „Communities of Interest“ mit passgenauen Inhalten versorgt werden, die es im Hauptprogramm schwer gehabt hätten, obgleich sie für die gelebte Normalität von Lebensentwürfen in Deutschland stehen.  

Auch Sophie Burkhardt vom ZDF meint, nicht jede Generation brauche eine eigene Plattform. Vielmehr stecke dahinter die Frage nach kluger Technik. Im Unterschied zu den Streaming-Giganten können die Mediatheken auch an mancher Stelle mit Inhalten überraschen und neue regionale Themen platzieren.

Zukunftsfähig bleiben ist keine „Rocket Science“

Dem Personal in den Sendern kann Maxi Droste mit auf den Weg geben, dass ihre Fähigkeiten weiterhin genauso gefragt sein werden wie früher, denn „gute Stoffe zu erzählen und gute Filme zu machen, ist ein Handwerk, das sie nach wie vor beherrschen.“ Die Erzählweisen funktionierten im Digitalen zwar etwas anders, seien jedoch keine „Rocket Science.“

Des Weiteren führte Sophie Burkhardt aus, man müsse sich in den Sendern darauf einstellen, dass „man um sein Publikum mehr kämpfen muss.“ Die Garantie, dass ein guter Sendeplatz automatisch zum Erfolg führe, fehlt in den Mediatheken. Zudem ist die Konkurrenz im Digitalen größer.

(Jule Schmidt/Maggie Schnaudt)