„Alle Augen auf das Echte” – Zweiter Serien Konferenztag
Zusammen mit der Grimme-Akademie veranstaltete die Duisburger Filmwoche 2021 ihren Doku-Serien Konferenztag rund einen Monat vor der 45. Duisburger Filmwoche – nicht in Duisburg – sondern im Kölner Filmforum NRW.
Attraktivität der Doku-Serie
Eröffnet wurde die Veranstaltung „Alle Augen auf das Echte – Doku-Serien zwischen Relevanz und Reichweite“ von dem diesjährigen Kurator der Filmwoche Alexander Scholz. Die Moderation übernahm erneut der Medienjournalist Torsten Zarges, der auch für die Konzeption verantwortlich zeichnet. Er freute sich besonders über den Austausch mit Publikum und Referent:innen, nachdem der erste Serientag im vergangenen Jahr als Video-Konferenz stattgefunden hatte. „Wachsender Programmbedarf bei Sendern und Plattformen beschert der Dokuserie einen Boom“, so Zarges zum Auftakt der Veranstaltung, „ob Sky, TVNOW, Amazon, Netflix oder öffentlich-rechtliche Mediatheken, alle bauen ihr Angebot an Doku-Serien massiv aus.“ Sie realisieren zunehmend die Attraktivität des Serienformats für ihr Programmangebot, vor allem in der Ansprache jüngerer Zielgruppen.
Fallstricke des seriellen Formats
„Alle Augen aufs Serielle: Fallstricke des Formats Doku-Serie“ betitelte Hannah Pilarczyk, Kulturredakteurin DER SPIEGEL, ihren einstimmenden Vortrag. Sie verglich Eingangs- und Schlussszene zweier dokumentarischer True Crime Formate. „Höllental“ (Marie Wilke, Das kleine Fernsehspiel ZDF) und die US-amerikanische Serie „Mord unter Mormonen“ von Netflix. Während letztere figurenfokussiert arbeitet und den Mörder in den Mittelpunkt stellt, ja, sogar zu ihrem Helden macht, wird bei Wilke der Ort zum Protagonisten. Pilarczyk stellte die Frage, ob True Crime Serien – das Format boomt international – teilweise leichtfertig mit Opfern und Tätern umgehen und ob nicht ein anderes Format für manche Geschichten besser passen könnte. In Podcasts sieht sie eine gute Alternative für Stoffe, die einer vertiefenden Moderation bedürfen.
Internationale Trends
Fred Black, Senior Analyst der britischen Medienforschung Ampere Analysis, skizzierte den internationalen Markt im Spannungsverhältnis von Pay-TV und Subskription-TV, dem Nutzungsverhalten unterschiedlicher Altersgruppen und dem vermehrten Abruf bestimmter Inhalte. Sein Resümee: Crime liege auch international vor Kunst und Kultur, gefolgt von historischen Inhalten, die in den vergangenen Jahren allerdings zurückgegangen seien. Die Nachfrage nach dokumentarischem Content sei 2020 erneut gewachsen, das sieht Fred Black auch als zukünftigen Trend. Er kam, für viele Besucher:innen überraschend, zu der Feststellung, dass Netflix wenig deutschsprachigen, dokumentarischen Content anbiete. Da habe der Streaminganbieter Joyn eindeutig die Nase vorn.
Unwiderstehliche Stoffe für BBC Studios
Das aufgezeichnete Gespräch mit Naomi Benson, Head of Development bei BBC Studios, verriet, welche Stoffe serientauglich sind und welche sich eher für einen langen Dokumentarfilm eignen. Für eine Serie muss der Stoff „irresistible“ sein:es braucht viele Drehungen und Wendungen und starke Protagonist:innen. Als Beispiel für eine aktuelle Produktion der Studios nannte Benson „The Bolsonaros“, ein Dreiteiler über den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro und seine Familie. „Wenn man dem Familienmenschen Bolsonaro näherkommt, versteht man auch den Politiker“, so Naomi Benson über den persönlichen Ansatz der Serie.
Ein Jahr mit sieben YouTuber:innen der Gen Z
Wer sich mit Serienproduktion Made in Germany beschäftigt, kommt an der gebrueder beetz Filmproduktion nicht vorbei. Seit Jahren setzen Christian Beetz und Georg Tschurtschenthaler erfolgreiche Serien wie „Nisman – Tod eines Staatsanwalts“ (2019), „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ (2020) oder „Viral Dreams – Die ausgebremste Generation“ (2021) um. Letztere wurde auf dem TV Series Festival Berlin zur besten Doku-Serie des Jahres 2021 ausgezeichnet. Beetz und Tschurtschenthaler sprachen im Detail über die schwierige Entwicklung der Miniserie (3 x 30 Minuten) während des Lockdown 2020, die sie mit den beiden israelischen Regisseuren Udi Nir und Sagi Bornstein produzieren.
Bereits 2016 hatten sie gemeinsam den Dokumentarfilm „#Uploading_Holocaust“ realisiert, der ebenfalls zu hundert Prozent aus YouTube Material besteht. Christian Beetz wies im Produktionsgespräch darauf hin, dass „uns im vergangenen Jahr viele Themen weggebrochen sind“ und sie sich fragten, „was machen wir, wie geht es weiter mit unseren Projekten?“ Vor allem sollte „Viral Dreams“ kein Kompilationsfilm werden. Mit dem YouTube Material der sieben Protagonist:innen aus den Jahren 2019-2020 möchten sie eine Geschichte erzählen, die mehr ist als eine „Pandemie-Serie“. Auch die Suche nach Partnern gestaltete sich anfangs schwierig. Es war ein sehr offenes Projekt mit vielen Fragestellungen im Prozess und vielen Krisen, wie Beetz und Tschurtschenthaler offen einräumten. Sendetermin der Serie ist am 14.12.2021 um 20.15 Uhr auf Arte.
Doku-Serien avancieren zum Liebling bei Streamingdiensten
Den Konferenztag beendete eine Diskussionsrunde mit mehrheitlich privaten Programmanbietern. Speaker waren VOX-Chefredakteur Marcel Amruschkewitz, verantwortlich für neue TVNOW Dokus und Christian Asanger, Vice President Entertainment von Sky Deutschland. Er plant für den gerade gestarteten Sender Sky Documentaries rund zwölf lokale Eigenproduktionen pro Jahr. Des Weiteren kamen zu Wort Karin Kuhn, Leiterin Programmbereich Unterhaltung, Kinder & Familie, WDR, sowie Volker Neuenhoff, Leiter Deutsche Originals Unterhaltung bei Amazon Studios. Unter dem Titel „Vom Waisenknaben zum Lieblingskind? Doku-Serien als Säule zukunftsfähiger Programm- und Portfolio Strategien“ stellten sie ihr Serienangebot vor, das zurzeit massiv ausgebaut wird. Karin Kuhn sprach für „die ultracoole ARD-Mediathek, hinter deren Programm zunehmend die Frage steht, was Mediathek-tauglich ist“.
Schlussrunde: Von der Unterhaltung zum dokumentarischen Format
Zu Beginn des Gesprächs stellten die Panelteilnehmer:innen fest, dass sie unisono aus der Unterhaltung kommen und jetzt für dokumentarische Formate zuständig sind. Daran sehe man den Stellenwert, den „Factual Dokutainment“ mittlerweile habe, stellte Volker Neuenhoff fest. Während die drei großen Streaminganbieter Themen mit „Talkability“ suchen, also Themen, über die man spricht und True Crime Formaten eine dominante Rolle zukommt, ist dieses Genre für den WDR kein Thema. Zumindest nicht im Familien- und Kinderprogramm. Hier spielen vor allem regionale Stoffe eine Rolle. Als Beispiel wurde „Passt, wackelt und hat Luft“, eine Dokutainment-Reihe über Azubis im Handwerk genannt.
Streaminganbieter auf der Suche nach exklusivem Content
Deutlich zeigte das Panel, wie weit das Mediathekenangebot der Öffentlich-Rechtlichen Sender und die privaten Streaminganbieter in Auswahl und Umsetzung von Themen auseinanderliegen. Die Erkenntnis, dass Doku-Formate auf guter, journalistischer Recherche fußen, wurde einhellig bejaht. Unter anderem startet TVNOW eine True-Crime-Offensive mit dem Stern Magazin. „Bei Doku geht es um fundierte, gut recherchierte Fakten, worin einem kein Fehler unterlaufen darf. Das ist der Unterschied zu Show-Formaten“, so Christian Asanger von Sky Deutschland und ergänzt: „Dokus sind eine andere Liga.“ Asanger verriet als nächstes Sky Original eine High-End-Dokumentationsreihe über die Umweltorganisation Greenpeace, die erstmals umfassenden und exklusiven Zugriff auf ihr Archiv gewährt. Die fünfteilige Serie „Greenpeace Inside Mission: Saving the Planet“ wird von M.E. Works, Constantin Dokumentation und Sky Studios produziert. Ausführende Produzenten sind Valentin Thurn (Thurnfilm) und Florian Schneider. Ausstrahlungstermin ist Ende 2022.
Trends der Doku-Serie
Am Ende des Serien Konferenztages sind einige Trends erkennbar: Ein Nebeneinander von Doku-Serie und Podcast, ein Überangebot an True Crime Themen, eher wenige, investigative, in die Tiefe erzählende Serien, dafür mehr Dokutainment, der enorme Bedarf an Original Content und Möglichkeiten, die Soziale Medien dem Genre bieten. Die dokumentarische Serie besitzt viel Entwicklungspotential, sowohl bei Themen und Erzählformen. Es bleibt auch in Zukunft spannend.