6. Evangelischer Medienkongress zur Rolle der Medien
Vom 12. bis 13.10.21 fand der sechste Evangelische Medienkongress zum Thema „Kitt oder Keil? Zur gesellschaftlichen Rolle der Medien“ statt. Durch die Diskussionen der Veranstaltung zog sich medienübergreifend vor allem die Frage nach dem zukünftigen Umgang mit Sozialen Medien.
Zahlreiche Dokumentationen und Dokumentarfilme wie „The Cleaners“ (gebrueder beetz filmproduktion, 2018) oder die aktuelle Netflix-Doku „The Social Dilemma“ befassen sich mit dem Phänomen „Social Media“. Sie beleuchten kritisch die Auswirkungen der Monopolstellung von Facebook (zum Unternehmen gehören u. a. auch Instagram und WhatsApp) oder ByteDance, das die Plattform TikTok betreibt.
Auch die Veranstaltung der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) in Zusammenarbeit mit dem ZDF beschäftigte sich mit spannenden Fragen zur Zukunft einer vielfältigen Medienlandschaft. Moderiert wurde der Kongress von Johanna Friese (evangelische Privatfunkbeauftragte Berlin) und Michael Sahr (Redakteur und Moderator im ZDF & bei PHOENIX). Neben Stellvertretenden der evangelischen Kirche, Wissenschaftler:innen und Journalist:innen waren auch Vertreter:innen privater und öffentlich-rechtlicher Sender auf dem Podium. Unter anderem Sophie Burkhardt, ehemalige Programmgeschäftsführerin von funk, die 2021 auch bei DOKVILLE zu Gast war und beim Branchentreff vom Haus des Dokumentarfilms das Thema „Öffentlich-Rechtliche Mediatheken im Wettbewerb mit Streaming Giganten“ diskutierte.
Das gesamte Programm und Vortragsinhalte des Evangelischen Medienkongress 2021 sind auf der Webseite einsehbar.
Der Fall Frances Haugen als Leitmotiv
Die Diskussionen um Whistleblowerin Frances Haugen beschäftigen die Öffentlichkeit schon seit Oktober 2021. Als ehemalige Facebook-Mitarbeiterin stellte sie dem The Wall Street Journal zahlreiche interne Dokumente („The Facebook Files“) des Unternehmens zu Verfügung. Auch auf dem Medienkongress war diese von Haugen angestoßene Debatte immer wieder Thema: Wie umgehen mit Macht und Einfluss von Facebook, um die tiefergehende Spaltung unserer Gesellschaft zu verhindern? Dazu stellungnehmend unterstrich Thomas Schulz (SPIEGEL-Reporter und Bestsellerautor) in seinem Vortrag, wie Facebook aus negativen Emotionen Profit zieht. Das Netzwerk trifft „durchaus politische Entscheidungen“, so Schulz, wenn negative Nachrichten gezielt gepusht werden, um die Interaktion der Nutzenden zu erhöhen.
Genreübergreifende Diskussionen
Trotz Macht und Einfluss spielen Soziale Medien, wie Facebook oder Instagram, im Alltag eine immense Rolle. Nahezu die gesamte Medienlandschaft macht von den Plattformen Gebrauch. Dadurch hat sich bis heute eine starke Abhängigkeit von den Plattformen entwickelt, die der Kongress immer wieder kritisch hinterfragte.
Verantwortung vs. Regulation?
Constanze Kurz (Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs) plädierte in ihrer Keynote dafür, andere Wege einzuschlagen, um die dauerhafte Abhängigkeit von manipulierenden und kommerziellen Netzwerken zu umgehen. Möglich wäre es, neue eigene Plattformen auf öffentlich-rechtlicher Basis zu gründen – ganz nach dem Leitsatz der (Neu-)Gestaltung. Viele Teilnehmenden bestätigten diesen Vorschlag, jedoch diskutierte man im Laufe der Veranstaltung weiterhin die Frage nach dem richtigen Umgang bei der Nutzung Sozialer Medien. Braucht es mehr Verantwortung von Seiten der Nutzer:innen oder gilt es, die staatliche Regulierung der Netzwerke, zum Beispiel über AGBs und Ko-Regulierung, zu erhöhen? – Letzterer Punkt wird von vielen nicht unkritisch gesehen. Wichtig ist, stark zwischen medienpolitischer, wirtschaftlicher, technischer und juristischer Regulierung zu differenzieren. Gerade mit Hinblick auf die Regierung Chinas und die Auswirkung deren Regulierung auf die Bevölkerung.
„Öffentlich-Rechtliche im Land der Frenemies”
In ihrem Beitrag „Öffentlich-Rechtliche im Land der Frenemies“ bestätigte Sophie Burkhardt abermals die Abhängigkeit. Sie zeigte das moralische Dilemma der Rundfunkanstalten um die Nutzung kommerzieller Plattformen wie Facebook, YouTube oder Instagram an fünf Ambivalenzen auf. Hat Informieren als Leitthema auf Unterhaltungsplattformen eine Chance? Wie (un-)sichtbar wird die eigene Marke? Womit wahre ich eine kritische Haltung gegenüber den Plattformen, wenn doch eine Abhängigkeit besteht? Wie vermittle ich unvoreingenommene Haltungen auf Plattformen, die eigentlich mit Zuspitzung arbeiten? Und wodurch bringt man schnellen Erfolg mit langfristiger Unabhängigkeit zusammen?
„Für das Format funk haben wir in allen Fragen eine Lösung gefunden“, so Burkhardt. Die Nutzung mehrerer Plattformen und der Beziehungs-Aufbau zu Nutzer:innen sind beispielsweise Teil dessen. Trotzdem ist letzten Endes Fakt, dass einzelne Formate und Sender mit eigenen Plattformen im Alleingang nicht bestehen werden. Möglich wäre ein Zusammenschluss, um Kräfte zu bündeln – „So wie es jetzt getan wird“, resümiert Burkhardt.
Schlussrunde: Fazit der Kongress-Kernpunkte
Das abschließende Podium „Was verbindet, was spaltet – was können Medien leisten?“ griff viele Punkte des Medienkongresses zusammenfassend auf. Einig war man sich darin, dass Medienbildung und Transparenz der Inhalte (Meinung vs. Sachverhalt) in Zukunft gestärkt werden müssen. „Soziale Plattformen sind Schlüssel für junge Zielgruppen“, aber, „ich bezweifle, dass die Plattform-Ideologie uns hier weiterführt. Wir brauchen eine europäische Regulierung“, wirft Peter Frey (Chefredakteur des ZDF) ein. Die Verantwortung sollte zukünftig nicht mehr allein bei den Nutzer:innen liegen. Plattformen wie Facebook müssten Verantwortung tragen, die auch mit Haftung verbunden sei. Wobei Straftat-Bestände und deren Operationalisierung dann für Jörg Bollmann (Direktor des Gemeinschaftsnetzwerkes der Evangelischen Publizistik) definiert werden müssten. Wie wichtig Definitionen sind, zeigt jüngst der Fall der Löschung zweier Videos der Aktion #allesaufidentisch auf YouTube (siehe Deutschlandfunk).
Facebook als Meinungsplattform
Als Facebook-Direktorin der Public Policy Central Europe ist Julia Reuss (die einzige Frau der Runde) zum einen zwar für eine gewisse Plattform-Regulierung. Zum anderen sieht sie Facebook weiterhin als Meinungsplattform, die bis heute ohne Rechtsrahmen agiert und die mit Entscheidungen, wie zum Beispiel gegen „Querdenken“ zu operieren, äußerst moralische Entscheidungen zu treffen hat. „Die Aufgabe liegt bei den Behörden dagegen vorzugehen“, so Reuss. Zudem „haben Facebook und Instagram definitiv kein Interesse daran, dass spalterische Inhalte sichtbar sind. Es ist noch viel mehr Schmutz da draußen.“ Peter Frey hält dem mit Fürspruch für stärkere Selektion entgegen: „Ein unkuratiertes Nebeneinander von qualitativ sehr unterschiedlichen Inhalten ist nicht hilfreich.“ Dem zustimmend unterstreicht Wolfgang Kreißig (Vorsitzender Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten), dass der Medienstaatsvertrag bereits Akzente in diese Richtung gesetzt habe.
Medien sind Kitt für die Gesellschaft
Mit einigen Forderungen für die Zukunft zieht die gesamte Runde einstimmig das Fazit, dass Medien „Kitt“ für die Gesellschaft sind. Das verbindende Element, das Medien für die Gesellschaft liefern, überwiegt, so der Tenor. Konflikte seien damit zwar nicht gelöst und Divergenzen bleiben weiterhin bestehen, doch guter Journalismus sowie sichtbare Marken auf den Plattformen haben – neben der Forderung von mehr Regulierung –, eine Chance, den kommerziellen und teils manipulierenden Sozialen Medien die Stirn zu bieten.
Passend zum Thema: Doku-Tipp
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“Der investigative Dokumentarfilm blickt hinter die Kulissen der globalen populistischen Bewegungen, analysiert ihre Online-Strategien und spürt die “Ingenieure des Chaos” auf: Informatiker, Meinungsforscher und Big-Data-Experten, die im Verborgenen Schlachtpläne für Politiker erstellen. Sie kennen keine Skrupel, wenn es darum geht, ihren Kandidaten zum Sieg zu verhelfen …”