DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer im Gespräch mit Monika Treut (Foto: Günther Ahner/HDF)

Im Gespräch mit Monika Treut: Pionierin des New Queer Cinema

Am zweiten Veranstaltungstag (16.6.23) interviewte DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer im Rahmen des Formats „Im Gespräch mit“ Monika Treut. Die vielfach ausgezeichnete Regisseurin, Produzentin und Autorin ist vor allem als Vorreiterin des queeren Films bekannt. Im Zentrum von Monika Treuts Filmen stehen starke feministische, queere und politische Themen und Menschen. Auch die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und sozialen Fragen bestimmen ihr Werk. Treut ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und brachte sich das Filmemachen selbst bei.

Ihrer Zeit voraus

Die Spiel- und Dokumentarfilme der Regisseurin zeichnen sich durch einen mutigen Blick aus, der sich nie davor scheut Neues zu zeigen und immer auch das Bestehende hinterfragt. Ihre Werke sind zutiefst menschlich und wunderbar unkonventionell. Obwohl es zu ihren Anfängen bereits deutsche Regisseurinnen mit starken feministischen Handschriften gibt (z. B. Helke Sander, Ulrike Ottinger) sind ihre Geschichten, die Frauen mit einem selbstbewussten Sexualleben in den Mittelpunkt rücken, weit ihrer Zeit voraus. 1985 wird Treut mit dem Spielfilm „Verführung: Die grausame Frau“ auf die Berlinale eingeladen – augenscheinlich zu früh für Publikum und Kritik. Es kommt zu einer Auseinandersetzung mit den Zuschauenden.

DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer im Gespräch mit Monika Treut (Foto: Günther Ahner/HDF)
DOKVILLE Ehrengast Monika Treut im Gespräch mit Kuratorin Astrid Beyer

„Der Film wurde von Elfi Mikesch und mir gemacht. Wir waren damals ein offenes lesbisches Paar und erzählen von sadomasochistischen lesbischen Fantasien. Das war innerhalb der Filmlandschaft der BRD etwas heftig.“

Ihr zweiter Film „Die Jungfrauenmaschine“ (1988) erzählt in Schwarz-Weiß-Bildern von der Journalistin Dorothee Müller, die während der Recherchen zu einem Artikel über romantische Liebe eine Affäre mit einer Stripperin beginnt. Die selbstbewusste und gleichzeitig humorvolle Auseinandersetzung mit Sexualität stoßt erneut auf großen Widerstand.

„Wir hatten damit mehr schlechte Kritiken als Zuschauer in Deutschland. Ich habe den deutschen Verleih verloren. Die Zeitungen schrieben, dieser Film vernichte das Kino“, erzählt die Regisseurin.

Gleichzeitig werden ihre Filme in den USA und Kanada sehr positiv aufgenommen und erhalten zahlreiche Festivaleinladungen. Dies nimmt Treut zum Anlass, ihrem Heimatland vorerst den Rücken zu kehren: „Ich dachte, ich geh‘ doch dahin, wo man meine Arbeit liebt und nicht dahin, wo sie abgelehnt wird – und schon war ich auf und davon.“

Neue Heimat: New Queer Cinema

„Das war im Nachhinein gesehen ein großes Geschenk, dieses Nichtverständnis von einem ‚anderen‘ Kino in Deutschland. Das hat mir die Türen geöffnet zum Kennenlernen anderer Kulturen und zu einer absoluten Horizonterweiterung“, sagt die Filmemacherin über ihre Anfänge in den USA. „Es war eine sehr lebendige Szene von Künstler*innen und Filmemacher*innen. Großartig!“

Die Bewegung des New Queer Cinema, die bereits 1971 mit Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ angestoßen wird und sich in den frühen 1990er Jahren vor allem im Bereich des amerikanischen Independent Films entwickelt, beeinflusst Monika Treut maßgeblich.
DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer im Gespräch mit Monika Treut (Foto: Günther Ahner/HDF)
DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer im Gespräch mit Monika Treut (Foto: Günther Ahner/HDF)

„Es gab dieses wunderbare queere Festival ‚Frameline‘, ich glaube, es wurde Ende der 70er gegründet. Da war ich zum ersten Mal 1984 und habe sehr viele tolle, interessante Menschen kennengelernt. So habe ich dann auch die sogenannten ‚Gendermixers‘ kennengelernt, so nannten sie sich damals.“

Über diese Community trifft sie auch auf die Protagonist*innen ihres bekanntesten Dokumentarfilms „Gendernauts – Eine Reise durch das Land der Geschlechter“ (1999), der als einer der ersten Filme über die Transbewegung gilt. Er zeigt das erste Portrait von genderqueeren Künstler*innen in San Francisco sowie dem örtlichen Tom Waddell Health Center, einer Transgender-Klinik.

Geschlechteridentität im Alter

2021 kehrt die Regisseurin mit „Genderation“ zurück zu den Protagonist*innen und fragt nach ihrer Entwicklung: „Es gibt wenig Filme über alte oder alternde Transsexuelle, die schon Jahrzehnte in ihrer anderen Identität leben. Mich hat sehr interessiert, wie sich die Identität und Beziehungsstrukturen verändern.“

In einer Szene erzählt Treuts Protagonist*in Sandy Stone, eine Trans*frau, die bisher mit Frauen zusammenlebte, wie sie sich zum ersten Mal in einen Mann verliebt. Sie beschreibt, wie sie im Alter das Interesse an einer heterosexuellen Beziehung entwickelt und Sexualität noch einmal neu erlebt. Diese sehr berührende Interviewszene bleibt auch deshalb lange im Gedächtnis, weil sie von einem tiefen Vertrauensverhältnis zwischen Protagonist*in und Regisseurin zeugt.

Lebenslange Freundschaften

Im Gespräch mit DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer geht Monika Treut auf die enge Bindung zu den Menschen in ihren Filmen ein:

„Bei mir hat sich das immer so entwickelt, dass wir lebenslange Freundschaften eingegangen sind. Das hat mich extrem bereichert. Ich könnte mir nicht vorstellen über Menschen einen Dokumentarfilm zu machen, die ich nicht mag, schätze oder respektiere. Mir hat mal eine Produzentin vorgeschlagen, einen Film über junge rechtsradikale Frauen zu machen. Das könnte ich gar nicht.“

Zwischen den Kulturen und Fokus Taiwan

Monika Treut interessiert sich in ihren Spiel- und Dokumentarfilmen darüber hinaus für soziale Themen und die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen. 2001 dreht sie „Kriegerin des Lichts“ über die brasilianische Menschenrechtlerin, Bildhauerin und Schriftstellerin Yvonne Bezerra de Mello und die Hilfsorganisation Projeto Uerê. 2016 kehrt die Regisseurin mit „Zona Norte“ erneut zurück nach Brasilien und fragt nach der Entwicklung des Projekts.

Filmstills GENDERNAUT + GENDERATION (Hyena Films/Salzgeber)
Filmstills aus GENDERNAUTS und GENDERATION
DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer im Gespräch mit Monika Treut (Foto: Günther Ahner/HDF)
Treut ist zudem fasziniert von Taiwan und realisiert u. a. Auftragsproduktionen für den Public Television Service Taipei. So entsteht 2005 „Den Tigerfrauen wachsen Flügel“, ein Porträt verschiedener Frauengenerationen. Im gleichen Jahr folgt „Made in Taiwan“; dann der Spielfilm „Ghosted“ (2009) und zuletzt „Das Rohe und das Gekochte – eine kulinarische Reise durch Taiwan“ (2012).

„Taiwan hat ja mittlerweile durch Vergleiche mit der Ukraine traurige Berühmtheit erlangt. Ich ärgere mich allerdings, dass darüber hinaus so wenig bekannt ist. Zum Beispiel über die Jugendkultur, über die aktivistische Position der jungen Leute, die in der Demokratie aufgewachsen sind oder über die digitale Revolution“, sagt die Filmemacherin, die aktuell vor Ort für ein neues Projekt recherchiert.

Details möchte sie dem DOKVILLE Publikum nicht verraten. Man kann jedoch sicher sein, dass das Ergebnis ein wichtiger Film sein wird, denn wie die aktuelle Berichterstattung über Taiwan zeigt, blickt Monika Treut einmal mehr auf Menschen, die bald von globalem Interesse sein dürften.

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