Was muss sich verändern, um dem langen künstlerischen Dokumentarfilm im Kino und auf Filmfestivals eine würdevolle Plattform zu bieten? In zwei DOK.forum Industry-Veranstaltungen beim DOK.fest München 2021 wurde diese Frage diskutiert.
Das Kino von morgen? Die Frage diskutierten die Teilnehmer:innen des AG DOK Panels „KINO.visions – Das Kino von Morgen“ kritisch. Unter Moderation von Dr. Thorolf Lipp (AG DOK) sprachen Prof. Martin Hagemann (Filmuni Babelsberg Konrad Wolf), Sanne Kurz (Bündnis90/Die Grünen), Verena von Stackelberg (Wolf Kino Berlin) und Lars Henrik Gass (Kurzfilmtage Oberhausen).
Zu Beginn fasste Prof. Martin Hagemann das Standing um den Kino-Dokumentarfilm zusammen: Der lange Dokumentarfilm feiert schon seit Jahren nur noch mit vereinzelten Filmen Erfolg in den Kinos. Kultur und Kunst haben in Konkurrenz zu den ökonomischen Kriterien in der Auswertung an Stellenwert verloren. Zu kurze Laufzeiten, weniger Förderungen bei der Fülle an Dokumentarfilmen und fehlende Qualität sind Teil der Gründe für fallendes Interesse an Kino. Lars Henrik Gass spricht sogar von deren – seiner Meinung nach bereits eingetretenen – „Musealisierung“.
Kino als Kulturbau?
Über die Zukunft von Kino müsse definitiv gesprochen werden, darin waren sich alle Teilnehmenden der DOK.forum Industry-Veranstaltung einig. In den Zukunftsvisionen gingen die Meinungen jedoch auseinander. Für Gass müsse Kino als Kulturbau neu gedacht und umstrukturiert werden. Dies liege auch in der Verantwortung der Politik. Hybride Lösungen sollten Streaming für Kinos möglich machen. Ziel sei ein offener Ort mit multiplen Angeboten.
Kunstkino Wolf in Berlin: Vorzeigebeispiel?
Das Filmkunstkino Wolf von Verena von Stackelberg in Berlin Neukölln wäre für diese Umstrukturierung wegweisend. Als Gegenstück zum von Kommerz getriebenen „klassischen“ Kino gilt das Wolf als künstlerischer Kurator und Kulturvermittler: Es gibt ein(e) Café-Bar, ein Studio als Veranstaltungs- und Drehort, Raum für zahlreiche Filmfestivals und den hauseigenen Steppenwolf Filmverleih. Im Gespräch fordert von Stackelberg deshalb Mut zur freien Entwicklung von Filmen, ohne stark richtungsweisende Förderprozesse. Kunst und Filmvermittlung für Heranwachsende sollten für das Kino von Morgen im Mittelpunkt stehen.
Die politische Vision von Kino
Sanne Kurz vom Bündnis die Grünen plädierte im Gegenzug zu Lars Hendrik Gass für den Erhalt und die Förderung des Kinos, wie wir es heute kennen. Es solle als „magischer Ort“ gerettet werden. Da sich die Zuschüsse für Kultur aber nicht so leicht umverteilen ließen, plädiert sie für bessere Beratungen. Film- und Kinoschaffende sollten gezielter auf verfügbare Fördertöpfe hingewiesen werden. Nicht zuletzt gehe es auch um stärkere Vernetzung zwischen Land und Kommunen, um Finanzierung lokal möglich zu machen.
Filmfestivals als wichtiger Ersatz für Kinos 2021
Bei der DOK.forum Industry-Veranstaltung „Filmfestivals – Eine Lobby für die Dokumentarfilmbranche?“ wurde ebenfalls über den Status Quo von Dokumentarfilm und Auswertung gesprochen. Moderiert von Adele Kohout und Florina Vilgertshofer (beide DOK.fest München), waren Marion Schmidt (DAE), Sonja Heinen (EFP), Maelle Guenegues (CAT&DOGS) und Denise Bucher (NZZ am Sonntag) zu Gast.
Gerade im Corona-Jahr waren die Filmfestivals mit Streaming-Angeboten wichtiger Kino-Ersatz. Sie schafften Zugang und boten Dokumentarfilmen Plattform. Besonders die Etablierung neuer Formate und Erzählformen kann durch Filmfestivals vorangetrieben werden.
Über den Zweck von Filmfestivals
Um Filmfestivals auch zukünftig interessant zu halten, so der Tenor in der Runde, sollten alle Player der Branche abgeholt werden. Zudem festigte sich im Gespräch, dass weiterhin Publikumsgespräche den Filmschaffenden die Möglichkeit bieten sollten, über Ideen und Kontexte ihrer Filme zu sprechen. Für das Erreichen der richtigen Zielgruppen sei zudem für Guenegues und Schmidt die Daten-Auswertung extrem wichtig. Nur damit ließen sich auch in Zukunft Anspruch und Wünsche der Zuschauenden an Filmfestivals generieren und umsetzen.
DOK.forum Industry für hybride Form der Filmfestivals
Insgesamt zeigten sich alle sehr zufrieden mit dem Weg, Filmfestivals in hybrider Form abzuhalten. Um kein Elite-Festival zu sein, für jene mit Zeit und Geld, binde die hybride Form auch dauerhaft unterschiedliche Zielgruppen. Dennoch sollte dabei die Exklusivität der einzelnen Filmfestivals nicht verloren gehen, so die Teilnehmer:innen.