Die beiden Arte-Formate „Village X“ und „Psycho/Psychobugs“ thematisieren Gegenwartsthemen und wollen Klischees brechen. Ihre Macher:innen waren bei DOKVILLE 2021 zu Gast. Fragen zu Authentizität, Zielgruppen und neue Erzählweisen standen im Mittelpunkt.
Was die Corona-Pandemie im letzten Jahr noch stärker offengelegt hat, war für die Macherinnen von „Psycho/Psychobugs“ schon vor der Pandemie ein Thema, über das gesprochen werden muss. „Wir alle haben irgendwo einen Tick“, betont Jessica Kraus (Producerin, berlinproducers), und diese Entstigmatisierung psychischer Krankheiten strebt das Format an.
Besondere Herangehensweise bei „Psycho/Psychobugs“
Damit diese Entstigmatisierung gelingt, sprechen die Protagonist:innen aus der Ich-Perspektive. Ihre Vorstellungen und Gedankenwelten werden durch erzeugte Bilder, wie Fliegen im Glas, gestützt. Für die Redaktion ist zudem die Perspektive auf das Thema wichtig: „Wir haben ein Selbstverständnis dafür, dass es psychische Phänomene sind und nicht psychische Krankheiten“, ergänzt Antje Behr (Autorin & Regisseurin, berlinproducers). Besprochen werden ADHS oder Angst, aber auch Themen wie Langeweile oder Resilienz.
Arte-Produktion: Tinder-Match der Medienbranche
Von der ersten Idee bis zur Umsetzung ist einiges an Zeit vergangen. Søren Schumann und Jessica Krauss entwickelten die ersten Ideen bei einem gemeinsamen Café im heißen Berlin-Sommer. „Irgendwann hat uns das große Tinder der Medienbranche miteinander verbunden, zu einem Match“, erzählt Søren Schumann (Ressortleiter Arte/rbb). Dann „hat das eine lange Exegese genommen“, denn die Entscheidungen treffen Arte-Verantwortliche bei solch einer Thematik nur langsam. Und dennoch hat es funktioniert und Bahnen gebrochen. „Psycho“ und seine kürzere Version „Psychobugs“ werden hauptsächlich aus Geldern für Digitales finanziert.
Unterschiedliche Zielgruppen
Ein Grund für diese digitale Strategie sind die Zielgruppen, die bespielt werden. „Psycho“ taucht mit seinen fast 30 Minuten tiefer in die Materie ein. „Psychobugs“ mit drei Minuten (für Instagram) und 12 Minuten (für YouTube) reißt Themen an und soll neugierig machen. Jedoch bleibt der Aufwand für unterschiedliche Längen meist gleich. Die Herausforderung bei „Psychobugs“ war, kompakt und packend zu erzählen. Doch Jessica Kraus zeigt sich sehr zufrieden: „Ich war sehr überrascht davon, was man in 10 Minuten erzählen kann, es zu schaffen, Menschen so zu interviewen und ihnen nahezukommen, dass ich Gänsehaut bekomme.“
Neue Erzählwege auch bei „Village X“
„,Village X‘ ist ein Provinzformat. Es verhandelt den großen Clash zwischen Stadt und Land. Da werden die großen Fragen unserer Zeit gespiegelt.“, fasst Simon Hufeisen (Produzent, Weltrecorder) die hybride Produktion für die Arte-Mediathek zusammen. Darin kommt ein Fremder (Host) mit einer redaktionell vorgegeben Mission in ein Dorf und die Erzählung nimmt ihren Lauf. In den ersten beiden Pilotfolgen hat Jan Hendrik Maria Scheper Stuke im sorbischen Dorf die Aufgabe, eine Krawatte zu kreieren. Doch wieviel davon ist inszeniert? „Es steckt natürlich eine Redaktion dahinter, aber letztendlich sind es reale Begegnungen und reale Orte. Wir haben einfach viel Freude an neuen Erzählformen und überlegen, wie können wir Themen und Geschichten so erzählen, dass sie gerne gesehen werden?“, resümiert Simon Hufeisen.
Streaming-Anbieter als große Konkurrenz
Neue Erzählweisen zu kreieren und Bilder zu schaffen, die unterhalten, sind die größte Herausforderung und auch der Anspruch für die beiden Produzenten von Weltrecorder. Sie wollen ein zeitgemäßes Format schaffen, das natürlich auch die Zielgruppen der Konkurrenz, wie bspw. Netflix, bedient. Entstanden ist ein Format, das polarisiert und zugleich unterhält.
„Village X“: Arte öffnet Türen
Doch wie schafft man es, die Protagonist:innen des Dorfes für sich zu gewinnen und authentisch darzustellen? Für die Authentizität des Formats ist der Zugang zu den Protagonist:innen enorm wichtig. Besonders die Tatsache, für Arte zu produzieren, hat dabei geholfen. Es ist nicht das „klassische Fernsehen“ , sondern spielerischer. „Die Protagonist:innen hatten unfassbar viel Freude, sich in dieser Art und Weise des Erzählens wiederzufinden. Die neue Erzählung, neue Ästhetik und andere Tonalität machen es aus“, betont Hufeisen.
Protagonist:innen ernst nehmen – auch bei „Psycho/Psychobugs“
Weiter ist es wichtig, gegenüber den Beteiligten selbst die Diskrepanz „Stadt – Land“ bzw. „Normalo – Psycho“ abzubauen. „Der Schlüssel ist, dass man ernsthaft gewillt ist, Klischees aufzubrechen“, erklärt Dominik Bretsch (Weltrecorder). Jessica Krauss zieht in diesem Punkt ebenfalls Parallelen zum eigenen Format: „Es geht darum, die Rolle umzudrehen, zu zeigen: ‚wir wollen euch nicht benutzen‘.“
Online-Formate: Die Zukunft?
Mit ihren beiden Formaten nutzen beide Produktionen neue Wege des Erzählens und streuen sie auf unterschiedlichen Kanälen, um bestimmte Zielgruppen anzusprechen. Doch sind Instagram, YouTube und Co. die Zukunft? Søren Schumann sieht diesen aktuellen Umbruch längst nicht mehr als Übergangsphase. Diese ist überwunden: „Also in unserer Philosophie bei Arte ist das Fernsehen inzwischen ein Nebenprodukt. Es wird aber weiterhin eine friedliche Koexistenz der verschiedenen Medien geben.“ Schlussendlich wird man sich also nicht für das Eine entscheiden, sondern mit unterschiedlichen Formaten unterschiedliche Zielgruppen bedienen.
Moderiert wurde das Panel „Case Studies ‚Village X‘ und ‚Psycho/Psychobugs‘“ von Dörthe Eickelberg. Sie sprach mit Antje Behr und Jessica Kraus (berlinproducers) und Dominik Bretsch und Simon Hufeisen (Weltrecorder). Søren Schumann (Ressortleiter Arte/rbb) hat beide Projekte betreut.
Nachschauen können Sie das Panel mit Ticket bis zum 30.6. unter dokville.de.