DOKVILLE 2022: Brauchen wir mehr Dokumentarische Games?

In Kooperation mit der Film Commission Region Stuttgart stellt das DOKVILLE-Format „AngeDOKt“ crossmediale Entwicklungen von Medieninhalten oder ungewöhnliche Produktionswege vor. In diesem Jahr standen Dokumentarische Spiele im Fokus.

Unterschiedliche Ausrichtungen

Computerspiele gelten als junges, interaktives Medium, bei denen die Unterhaltung im Vordergrund steht, während Dokumentarfilme häufig mit dem Ruf zu kämpfen haben, sperrig zu sein. Wie lassen sich Spiele auf ansprechende Weise mit dokumentarischem Material kombinieren? Diese und viele weitere Fragen wurden im DOKVILLE-Panel „AngeDOKt – Brauchen wir mehr Dokumentarische Games?“ diskutiert.

Tobias Hammerle, Dokumentarfilmer und Mitglied der Künstlergruppe Gold Extra, ist an der Entwicklung von Computerspielen aus unterschiedlichen Formaten beteiligt. Gold Extra hat unter anderem das Spiel „The Fallen“ entwickelt, bei der die Spielenden aus der Shooter-Perspektive in die seit einigen Jahren umkämpften ostukrainischen Regionen eintauchen. Sobald man schießt, öffnet sich ein neues Fenster, in dem die Lebensgeschichte der erschossenen Person erzählt wird. Das Erzählte sind wahre Geschichten über gefallene Soldaten. Das Spiel ist ein gutes Beispiel für die Verknüpfung von dokumentarischen Inhalten mit einem typischen Computerspiel.

Die Stärke von Games: Dinge erfahrbar machen

Zoë Koç, Game-Designerin bei Spellgarden Games, merkt an, dass hier die Experience im Vordergrund steht. Jochen Gebauer, Mitbegründer des Spielemagazins „The Pod“, sieht „The Fallen“ eher als klassisches Computerspiel: „Videos über Menschen als Inhalt eines Spiels lassen sich gut umsetzen“, merkt er an. Tobias Hammerle ergänzt, dass dokumentarische Spiele wie „The Fallen“ die große Chance bergen, eine Thematik erfahrbar zu machen: „Dadurch, dass man etwas spielt, nimmt man es anders wahr. Es ist so, als sei man selbst dort gewesen. Das erfahrbar zu machen, war für uns auch das Ziel beim Spiel ‘The Fallen’“. So etwas verändere den Blick, wie beispielsweise auf Kriege. „Das ist etwas, das rein dokumentarische Formate nicht leisten können“, merkt er bei DOKVILLE an.

Jochen Gebauer sieht die Stärke von Dokus in ihrem unmittelbaren Realitätsbezug. In seinen Augen können Games das Gleiche leisten: „Das Medium Spiel ist prädestiniert dafür, die Realität abzubilden und erlebbar zu machen“, erklärt er. Es habe die Chance, Perspektiven erfahrbar zu machen, wie beispielsweise Täter- und Opferrollen. „Das ist ein wertvolles Gut, dass das Medium der Interaktivität besitzt, das noch nicht voll ausgeschöpft ist“, erklärt er.

Dokumentarische Spiele: Eskapistische Funktion geht verloren

Viele Spieler:innen sehen in Games allerdings eine eskapistische Funktion. Jochen Gebauer merkt an, dass das ein Problem ist, dokumentarische Spiele überhaupt auf dem Markt zu platzieren, weil sie nicht das erfüllen, was die Zielgruppe erwartet.

Die aktuelle Entwicklung geht weg von der historischen Fiktion und hin zur Superheldenfantasie. Das zeigt, wie wenig sich Spiele im Allgemeinen für historische und dokumentarische Formate interessieren, weil das Publikum darauf geeicht ist, Eskapismus zu bekommen. Es fehlt schlichtweg die Zielgruppe

Themenfindung und Hintergrundrecherche sind eine große Hürde

Eine weitere Hürde für dokumentarische Spiele sind die zeitaufwendigen Recherchen. Zoë Koç erklärt, dass es sich meistens nicht lohne, wenn man viele Jahre für ein Thema recherchieren muss, da die Spiele dann schon wieder überholt sind. Das Hauptproblem, warum es kaum dokumentarische Spiele gebe, sieht Paul Kautz in der finanziellen Förderung: „Bei Spielen ist das ähnlich wie bei Dokumentarfilmen. Man muss abwägen, wie viele Leute an einem dokumentarischen Thema arbeiten und wieviel Profit man sich davon verspricht“. Vor allem große Studios würden sich deshalb nicht sehr für Doku-Games interessieren und Geld darin investieren.

Ein Thema für ein dokumentarisches Spiel zu finden, ist natürlich schwierig. „Man muss sich überlegen, welche Themen die Zielgruppe interessiert. Dann muss man erst einmal Fuß fassen und dokumentarische Spiele anschließend weiter ausbauen“, merkt Zoë Koç an. Auch Jochen Gebauer ist der Meinung, dass manche Themen schwer umzusetzen sind, wie zum Beispiel über einen Krebstod. „Manche Spiele sind wichtig, aber thematisch keine richtigen Spiele“, so Gebauer bei DOKVILLE. Dem stimmt auch Paul Kautz zu: „Wenn man ein tragisches Thema wie den Amoklauf an der Columbine High School als Spiel verpackt, bewegt man sich auf sehr dünnem Eis“.

Die Notwendigkeit dokumentarischer Spiele

Brauchen wir also mehr dokumentarische Games? Ja, sind sich die Panelteilnehmer:innen einig. „Kein anderes Medium kann verschiedene Rollen auf diese Weise erfahrbar machen”, meint Jochen Gebauer. „Dokumentarische Spiele haben ein großes Potenzial, nicht nur die, die den zweiten Weltkrieg zum Thema haben, sondern auch leichtere Stoffe, wo man sich mehr ausleben und trauen kann”, findet Zoë Koç.

image_pdfAls PDF speichernimage_printDrucken
Facebook
Twitter