DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG (Foto: Günther Ahner/HDF)

Produzentinnen-Panel bei DOKVILLE: „Wir sind nicht die Opfer!“

„Unterrepräsentiert? Produzentinnen im Dokumentarfilm“ lautet der Titel des Panels in Kooperation mit Women in Film and Television Germany (WIFTG). Es zählt zu den stärksten und am meisten diskutierten bei DOKVILLE 2023 und fragt u. a. danach, ob es Produzentinnen in der Dokumentarfilmbranche generell schwerer haben als ihre männlich gelesenen Kollegen. Moderation: Cornelia Köhler, Vorsitzende WIFTG.

„Unterrepräsentiert? Produzentinnen im Dokumentarfilm“

Auf der einen Seite weist u. a. die Studie „Produzentinnen in Deutschland: Relevanz und Strukturdaten” (2020), die Prof. Dr. Elizabeth Prommer, Direktorin des Instituts für Medienforschung an der Universität Rostock erstellt hat, auf eine strukturelle Benachteiligung von Frauen im Business hin. In der deutschen Film- und Fernsehbranche bekommen sie weniger Fördermittel und haben oftmals kleinere Budgets. Auch Vorurteile gegenüber Frauen und vermeintlichen „Frauen-Themen“, Repräsentationslücken und mangelnde Partizipation sind im wissenschaftlichen Diskurs wie in der Lebenswirklichkeit nicht von der Hand zu weisen.

„Wir sind hier nicht die Opfer und wir wollen hier nicht rumheulen!“

DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG (Foto: Günther Ahner/HDF)
v. l. n. r.: Cornelia Köhler, Dagmar Biller, Nicola Graef, Dr. Mirjam Dolderer, Tina Leeb, Antje Boehmert

Auf der anderen Seite stehen Frauen wie Dagmar Biller (Tangram Film), Antje Boehmert (DOCDAYS Productions), Nicola Graef (Graef Screen Productions), Tina Leeb (Bavaria Fiction Documentaries) sowie auf Senderseite Dr. Mirjam Dolderer, Teamleitung SWR-Redaktion Dokumentarfilm, die sich davon wenig bis gar nicht beeindrucken lassen. Gleich zu Beginn des Panels geben sie selbstbewusst die Richtung des Talks vor. „Wir sind hier nicht die Opfer und wir wollen hier nicht rumheulen!“, fasst Cornelia Köhler den einhelligen Tenor zusammen, der sich schon in Vorgesprächen herauskristallisiert hat und im Panel weiter manifestiert. „Ich möchte, dass nach dem Panel alle jungen Frauen im Publikum, die überlegen Dokumentarfilm-Produzentin zu werden, sagen: ‚Ja, das machen wir. Das ist ein toller Job!‘“, so Antje Boehmert. Dagmar Biller ergänzt lachend: „Ich denke gerade darüber nach, ob Männer gerne auf einem Panel mit dem Titel ‚Unterrepräsentiert‘ sitzen würden.“

Selbstbewusst für sich einstehen

„Man braucht natürlich Durchhaltevermögen. Aber wenn man mit Begeisterung, Leidenschaft, guten Ideen und einer gewissen Penetranz daherkommt, macht es die Arbeit einfacher“, führt Nicola Graef aus, die die Situation nicht so negativ sieht, wie es der Panel-Titel andeutet. „Ich finde es schade, dass es eher wenige Frauen gibt, die diesen Weg einschlagen. Wenn man das will, dann schafft man das auch!“

Über Geld spricht man … doch!

„Ich glaube, es ist sehr wichtig das Selbstbewusstsein zu haben, dass man etwas wert ist“, betont Tina Leeb. „Wir müssen lernen, locker über Geld zu reden und mit Geld umzugehen. Ich war mein Leben lang selbstständig, ich verhandele gerne und mag Geld. Und fertig! Dafür muss man sich nicht entschuldigen.“ Auch Graef plädiert für einen offeneren und offensiveren Umgang mit dem Thema Geld, das „aus verschiedenen Gründen noch immer sehr männlich konnotiert“ sei. „Man braucht Biss und muss durchhalten, auch wenn man durch viele Frustrationstäler geht.“ Exposees müssten teils mehrfach und unbezahlt überarbeitet werden, Themen würden auch mal abgelehnt. Das gehe nicht nur an die Nerven, sondern auch ans Portemonnaie. „Man darf nicht davor zurückschrecken, die finanzielle Verantwortung zu übernehmen“, findet auch Dagmar Biller. „Sich vielleicht auch mal anzulegen, Nein zu sagen und Grenzen zu setzen, ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu haben. Und wenn’s dann mal schiefgeht, dann geht’s eben schief. Man darf kein Problem damit haben, Entscheidungen zu fällen und Verantwortung zu übernehmen.“

DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG; Nicola Graef (l.), Mirjam Dolderer (r.) (Foto: Günther Ahner/HDF)
Nicola Graef (l.) und Dr. Mirjam Dolderer (r.) wissen, wie wichtig Begeisterung für den Job und Durchhaltevermögen sind
DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG: Tina Leeb (Foto: Günther Ahner/HDF)
Tina Leeb ruft Frauen dazu auf, sich nicht unter Wert zu verkaufen und offen über Geld zu reden
DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG; Mirjam Dolderer (l.), Tina Leeb (m.), Antje Boehmert (r.) (Foto: Günther Ahner/HDF)
Dr. Mirjam Dolderer bringt den Senderblick ein
DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG: Antje Boehmert (Foto: Günther Ahner/HDF)
Antje Boehmert plädiert für mehr Feminst:innen mit starker Haltung, ungeachtet des Geschlechts
DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG (Foto: Günther Ahner/HDF)
Die Panel-Teilnehmerinnen sind sich strukturellen Problemen bewusst und treten ihnen selbstbewusst entgegen

Mediale und strukturelle Repräsentanz

Dr. Mirjam Dolderer bringt als Redakteurin den Blick durch die Senderbrille in die Diskussionsrunde ein. „Es erreichen uns viel weniger Stoffvorschläge von Produzentinnen als von Produzenten“, so Dolderer. „Wenn ich einen bekomme, fällt es mir viel schwerer ihn abzulehnen als bei einem Mann. Weil das Bewusstsein da ist, für mehr Geschlechtergerechtigkeit sorgen zu können. Natürlich spielen bei der Auswahl noch eine Reihe weiterer Kriterien eine Rolle, aber unser Bemühen ist schon, Frauen zu unterstützen.“

„Wir sind alle mit einer medialen Repräsentanz von Frauen großgeworden, die uns nicht gefällt“, führt Boehmert aus. „Wir sind aber auch mit einer kompletten nicht-medialen Repräsentanz von der queeren Community, von der nicht-weißen und nicht-deutschen Community aufgewachsen. Hier haben heterosexuelle Frauen vielleicht ein geringeres Problem als andere marginalisierte Gruppen. Wir sollten uns aufgerufen fühlen, aus den eigenen Erfahrungen heraus mitzuhelfen, alle zu stärken!“

Stereotype und Machtgefüge

„Stereotype wirken nicht nur von außen, sondern auch von innen. Es muss ein Bewusstsein geschaffen werden, wie sie uns behindern“, erklärt Dr. Mirjam Dolderer, die sich als promovierte Sozialpsychologin in der Forschung u. a. mit Vorurteilen und ihren Auswirkungen auf das berufliche Vorankommen beschäftigt hat. „Beim SWR und bei fast allen ARD-Sendern haben wir die ‚50/50 Challenge‘ von der BBC übernommen. Redaktionen sind aufgefordert, ein Jahr lang zu schauen, wie viele Frauen sichtbar und hörbar im Programm sind. Allein dieses Beobachten führt schon dazu, dass der Anteil deutlich steigt.“ Boehmert hält dagegen: „Wir haben kein quantitatives Problem, wir haben ein qualitatives. Wenn in einer Wissenschafts-Doku Frauen Krebs haben und Männer Krebs heilen, haben wir eine 50/50-Verteilung im Film, aber es gibt ein Machtgefüge. […] Mich interessiert also nicht nur der Anteil der Frauen, mich interessieren auch die Positionen, die sie bekleiden.“ 

Alle Panel-Teilnehmerinnen sind sich einig: Das strukturelle Problem, dass Schlüsselpositionen am oberen Ende der Karriereleiter oftmals ausschließlich mit heterosexuellen weißen Cis-Männern besetzt sind, löst ein Beobachten allein nicht. Die Auswirkungen sind in Sendern und Förderanstalten genauso wie in der freien Wirtschaft zu spüren. „Das Gremium, das in der ARD entscheidet, welche Filme gezeigt werden, besteht aus vier Männern. Also wenn das zeitgemäß ist, bin ich offenbar in der falschen Zeit unterwegs“, betont Graef und bekommt Zwischenapplaus. „Deshalb ist es toll, wenn Frauen verstärkt in diesen Positionen sind. Schließlich sind die Auswahl und Bewertung von Themen zwischen Männern und Frauen immer noch unterschiedlich.“

Graefs Wunsch sind nicht nur paritätische Strukturen, sondern auch Themen: „Es sollte keinen Unterschied zwischen Mann und Frau geben. Die gesellschaftliche Relevanz entscheidet!“ Und sie ergänzt an späterer Stelle im Gespräch: „Wir brauchen männliche, weibliche, diverse Feministen. Wenn wir das als getrennte Wettbewerbssituation sehen, bringt es niemandem etwas. Da gibt es noch Nachholbedarf, wie wir immer wieder feststellen, aber wenn wir daran in einer gemeinsamen Kraftanstrengung arbeiten, sehe ich das sehr positiv.“

Self-Empowerment als Ziel

„Es gibt das schöne englische Wort ‚Self Empowerment‘. Ich finde, wir müssen uns als Frauen und generell als Menschen selbst ermächtigen“, sagt Tina Leeb. Die Arbeit in Verbänden und Netzwerken wie der Produzentenallianz, AG DOK, Women in Film and Television WIFT Germany (WIFTG) und dem European Women’s Audiovisual Network (EWA) kann dabei helfen zu fördern und zu fordern. „Das ist eine sehr schöne Erfahrung, weil man aus der Abhängigkeits-Position einer einzelnen kleinen Firma rauskommt und in einem solidarischen Verbund mit den Leuten redet, die zum Beispiel bei Sendern wirklich etwas entscheiden können. Man kann seine Anliegen vorbringen und etwas dafür tun, dass sich etwas verändert“, erklärt Dagmar Biller. „Wir sollten uns auch da noch viel mehr engagieren!“

DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG: Dagmar Biller (Foto: Günther Ahner/HDF)
Dagmar Biller lädt ein sich zu engagieren
DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG: Cornelia Köhler (Foto: Günther Ahner/HDF)
Die Gesprächsrunde leitete Cornelia Köhler mit Kompetenz, Authentizität und Feinsinn
DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG; Tina Leeb (l.), Antje Boehmert (r.) (Foto: Günther Ahner/HDF)
NIcht immer einer Meinung, aber immer respektvoll und auf Augenhöhe im Umgang
DOKVILLE Produzentinnen-Panel in Kooperation mit WIFTG: DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer (l.) und Cornelia Köhler, WIFTG (r.) (Foto: Günther Ahner/HDF)
Die Idee zum Panel entwickelte DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer gemeinsam mit WIFTG

Über die Panel-Teilnehmerinnen

Dagmar Biller ist Produzentin und geschäftsführende Gesellschafterin bei TANGRAM Film. Sie produziert Filme von der 30-minütigen Dokumentation bis hin zum Langformat. Gerade arbeitet Biller an einem Projekt über Emilie Schindler, das nun in die Förderung geht.

Antje Boehmert ist Executive Producerin, Autorin und Regisseurin bei DOCDAYS Productions. Der Dokumentarfilm „Sara Mardini – Gegen den Strom“ hatte im März 2023 Kinostart und ist seit dem 21. Juni auf Arte verfügbar. In diesem Oktober kommt zudem die zweite Staffel der u. a. mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten Doku-Serie „Charité intensiv“ in die Mediathek.

Dr. Mirjam Dolderer hat die Teamleitung in der SWR-Redaktion Dokumentarfilm. Mit ihren Mitarbeitenden verantwortet sie rund acht Dokumentarfilme für die ARD und die Mediathek im Jahr.

Nicola Graef ist Produzentin und Geschäftsführerin der Graef Screen Productions. Ihre aktuelle Dokumentation über die Barbie hat TV-Erstausstrahlung am 4. August 2023 auf Arte; zudem ist ein großer Dokumentarfilm über Vorstandsvorsitzende für die ARD in Produktion.

Tina Leeb ist als Producer International Coproductions für die Bavaria Fiction in der neuen Doku-Unit tätig und unterstützt Emanuel Rotstein, der als Head of Documentaries den Aufbau des non-fiktionalen Bereichs verantwortet. Zudem macht Leeb mit ihrer eigenen Firma fastforward Consulting für dokumentarische Projekte. „Murky Skies – Tödliche Fracht“ läuft als zweiteilige Dokumentation am 27. Juni 2023 auf Arte. In Zusammenarbeit mit DOCDAYS Productions ist zudem die internationale Koproduktion „Liberation Diaries“ entstanden, die die Sicht von drei Frauen auf die Tage der Befreiung spiegelt.

Moderation: Cornelia Köhler, Autorin, Moderatorin, Regisseurin und Vorsitzende WIFTG (Women in Film & Television Germany)

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