Am zweiten Tag unseres Branchentreffs waren verschiedene Themen im Programm. Die Frage nach neuen Plattformen für unabhängige Dokumentarfilme, Frauen in der Animationsszene sowie dokumentarische Games und die Rekonstruktion historischer Figuren wurden diskutiert.
Eine neue Plattform für unabhängigen Dokumentarfilm zu schaffen, die nicht unbedingt im Kino und Fernsehen eine Chance haben zu laufen, ist das Ziel von Jochen Hick und seinen Mitkämpferinnen. Diese Filme haben oft eine große vernetzte Community, über die sie Zuschauer*innen ansprechen und aktivieren. Bei kommerziellen Plattformen sind solche Produktionen nachrangig gelistet und können schwer gefunden werden. Das geplante Portal für den unabhängigen Dokfilm ist nicht an Exklusivität gebunden, sondern man kann die Filme auf anderen schon bestehenden Plattformen wie Onlinefilm, Realeyz oder Dokumotive laden.
Doku-Plattform mit Solidaritätsgedanken
Die Lizenzgeber*innen sollen sich als Community verstehen und die Plattform soll mit dem Solidaritätsgedanken entwickelt werden. Es gibt ähnliche Plattformen im Ausland. Ein erster Schritt ist ein Blog, aus der die Plattform entwickelt werden soll. Es wird klare Regeln geben, z.B. max. drei Filme pro halbem Jahr und ein klares Profil der Filme als frei finanzierte Filme außerhalb des Mainstreams. Fortwährende Bewerbung und aktive Mitarbeit an der Plattform sind gefordert. Der Name des Portals soll bis Ende des Jahres feststehen und im nächsten Jahr dann starten. Es müssen noch rechtliche Fragen geklärt werden, da die Initiative erst vor einigen Monaten gestartet ist. Bei Interesse lautet der Kontakt: [email protected].
AnimaDok: Frauen müssen mutiger werden
Ein spezielles Frauen Panel wurde organisiert in Zusammenarbeit mit WIFT Germany (Women in Film Television) zur Frage Animadok: Wo sind die Frauen? DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer stellte in der Einleitung fest, dass zwar viele Animatorinnen ausgebildet würden, aber in der Praxis würden die Branche von Männern dominiert. Annegret Richter, Geschäftsführerin AG Animationsfilm stellte fest, dass dies Genre nicht sehr familienfreundlich ist und Frauen weniger selbstbewusst seien als Männer – das fängt schon bei den Honorarverhandlungen an. Frauen müssten mutiger werden. Stefanie Larson, Leiterin des Animation Media Cluster Region Stuttgart, bestätigte dies und die Animationsbranche wäre eben auch ein Wanderzirkus, bei dem die Animator*innen von Projekt zu Projekt wechseln würden.
AnimaDok – Länderunterschiede
Prof. Lillian Klages vom Animationsinstitut an der Filmakademie Baden-Württemberg wies auf Unterschiede in verschiedenen Ländern hin. In Skandinavien beispielsweise seien geregelte Arbeitszeiten üblicher. Bei uns gäbe es eher einen Wettbewerb, wer am längsten im Büro ist. Anja Kofmel war bei „Chris the Swiss“ im eigens aufgebauten Animationsstudio in Zagreb die Erste, die kam und die Letzte, die ging. Insgesamt lebte sie für die Produktion zwei Jahre in Zagreb.
Bessere Chancen für Frauen in der Animationsbranche für Frauen
Gertaud Grausgruber, Festivalleiterin von Tricky Women wollte es nicht auf die langen Arbeitszeiten beschränken, sondern, dass man es ihnen oft nicht zutrauen würde. In den USA würden nur 3% der Regieaufträge für lange Animationsfilmen an Frauen vergeben. In Deutschland wurde eine Untersuchung gestartet zu Frauen im Animationsfilm, auch mit der Frage, ob eine Spezialisierung eine Lösung sein könnte. Denn hier gibt es keine großen Studios, sondern viele arbeiten wesentlich kleinteiliger. Im animierten Kurzfilm sind Frauen noch gut vertreten, aber in der Serie und im Langfilm wird es für sie schwieriger. Allerdings werden sie oft schlechter bezahlt, wie verschiedene Studien nachwiesen. Für Animatorinnen gibt es die Chance für eine Arbeit zu Hause, um es besser mit der Familie abstimmen zu können. Letztlich stellt sich die Frage, ob Animadok den Frauen neue Chancen geben würde, da es sich oft um kurze Animationen von einigen Minuten handelt.
Doku trifft Games
Neue Perspektiven eröffneten ein Virtual Reality Projekt und ein Game in der Sektion Angedokt in Zusammenarbeit mit der Filmcommission Region Stuttgart. SWR online entwickelte mit Pixelcloud eine VR-Anwendung, mit der jeder eintauchen kann in das Höhlensystem Blautopf auf der Schwäbischen Alb. Es wurden aus der Rekonstruktion drei Projekte entwickelt: eine Doku, eine VR-Anwendung und ein Spiel. Sie ermöglichen sich durch das Höhlensystem zu bewegen und auch zusätzliche Informationen zu finden. Vorgestellt wurde es von Bettina Fächer (SWR online) und Jonas Kirchner von Pixelcloud. Die Dreharbeiten in der Höhle war nur die Basis für eine aufwändige Postproduktion.
„Through the Darkest of Times“ – Game und Widerstand
Das Stilmittel der Animation wählte das Computerspiel „Through the Darkest of Times“ über den Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Es war das erste Computerspiel in Deutschland, dass das Symbol des Hakenkreuzes verwendete und trotzdem auf dem Markt kommen wird. Sebastian Schulz von Painbucket Games stellte das historisches Strategiespiel vor und ging auf die Konzeption ein. Dabei ist das Spiel chronologisch angelegt und hat vier Hauptereignisse: die Machtübernahme 1933, die Olympischen Spiele 1936, den Zweiten Weltkrieg 1939 und den Untergang 1945. Auf Anraten eines Historikers, der Ihnen klar machte, dass die Akteure damals davon ausgingen, Hitler stürzen zu können, arbeiten sie zur Zeit an einer Version, wo ein solcher Ausgang als Option erscheint.
Im Gespräch mit Annekatrin Hendel
Eine authentische Darstellung des Alltags in der DDR ist Annekatrin Hendel ein wichtiges Anliegen, denn sie war davon enttäuscht, was in Filmen dazu erzählt wurde. In einem lebhaften Gespräch mit dem bekannten Berliner Filmjournalisten Knut Elstermann stellte sie ihre Filmarbeit vor und erklärte, warum sie als Filmproduzentin gestartet ist nach ihrer Arbeit im Theater. Sie geht naiv, aber neugierig an neue Projekte und ermutigte die anwesenden Filmemacherinnen und -macher ihre Projekte auch gegen Wiederstände durchzusetzen.
Annekatrin Hendels Verrats-Trilogie
Einen Namen hat sie sich durch ihre Verrats-Triologie gemacht über Menschen, die im Kulturbereich sehr aktiv waren, aber zugleich für die Stasi gespitzelt haben. „Vaterlandverräter“ (2011) porträtiert den Schriftsteller Paul Gratzig, der sich selbst schon in den 1980er Jahren outete. Sascha „Anderson“ (2014) war eine schillernde Person im Prenzlauer Berg. Für das Interview mit ihm baute sie die Küche nach, die zu DDR Zeiten Treffpunkt der Kulturszene war. „Familie Brasch“ (2018) schlägt einen großen Bogen von 1930 bis heute. Der Vater wurde als überzeugter Kommunist zum Kulturfunktionär in der DDR, doch das Verhältnis zu seinen Kindern, die alle künstlerisch tätig sind, ist schwierig. Sie stellen sich gegen das System, das ihrer Meinung den Sozialismus pervertiere. Gerade die Brüchigkeit dieser Biografien reizte Hendel, sie zu zeigen. An „Fassbinder“ (2015) beeindruckte sie seine filmische Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte. Ihr persönlichster Film ist sicher „Fünf Sterne“ (2017), in dem sie ihre beste Freundin Ines porträtiert, die nur noch einige Monate zu leben hat. Hendel geht mit ihr in ein Hotel an der Ostsee, für das sie ein Stipendium gewonnen hatte und führt intensive Gespräche mit Ines. Ihre aktuelle Produktion ist „Schönheit & Vergänglichkeit“ über Sven Marquardt, Türsteher des legendären Technoclubs Berghain, der auch als Fotograf aktiv war. Der Film gewann bei der diesjährigen Berline den Heino-Carow-Preis. Annekatrin Hendel ist zu einer Chronistin Ostdeutschlands geworden, die gegen die Auslöschung von Geschichte und Erfahrung der DDR-Bürger anfilmt.
Die Rekonstruktion historischer Figuren
Das Schlusspanel beschäftigte sich ebenfalls mit der Rekonstruktion historischer Figuren, wobei die Ansätze unterschiedlicher nicht hätten sein können. Am Animationsinstitut der Filmakademie in Ludwigsburg gibt es schon lange Forschungen zur Gesichtserfassung und zum virtuellen Schauspieler. Diesen Bereich leitet Prof. Volker Helzle. Ein relativ aktuelles Projekt ist eine kurze Mini-Serie für die Leszek Plichta Albert Einstein zum Leben erweckt wurde. Die zweite Fallstudie ist der Animationsfilm „1917 – Der wahre Oktober“ von Kathrin Rothe. Sie gehört in Deutschland zu den Pionierinnen des AnimaDok und realisierte schon 2003 ihren Film „Dunkler Lippenstift macht seriöser“.
Katrin Rothe animiert abendfüllende Doku
Grundlage ihres aktuellen Films sind historische und persönliche Aussagen und Erlebnisbericht von Künstlern und Intellektuellen über die russische Revolution in Briefen, Tagebüchern usw., aus denen emotionale Schlüsselzitate ausgewählt und in eine animierte Bilderwelt transferiert wurden. Statt Re-Enactment mit Schauspielern, wie dies bei historischen Programmen heute oft genutzt wird, wurde die Technik des Legetrickfilm gewählt und so ein abendfüllender Dokumentarfilm animiert.
Neue Digitaltechniken für Rekonstruktion von „Albert Einstein“
Bei „Albert Einstein“ (https://www.youtube.com/watch?v=UVAUaBf9vkM) wurden neueste Digitaltechniken eingesetzt, um menschliche Gesichter überzeugend und fotorealistisch zu kreieren. Zunächst wurden passende Zitate von ihm gesucht. Fotos dienten als Vorlage für eine Skulptur des Gesichts, die in 3D abgetastet wurde. Daraus entstand eine virtuelle Gesichtsmaske. Albert Einstein wurde von Ernst Konarek gespielt und dann sein Gesicht durch die virtuelle Gesichtsmaske ersetzt. Die Idee erinnert an „Virtual History“ von Discovery Channel, die 2004 für ein Programm zum 20. Juli 1944 die Gesichter von Hitler, Stalin, Churchill und Roosevelt auf die Köpfe von Schauspielern gemappt haben.
Ethische Diskussionen: Rekonstruktionen im Dokumentarischen?
Es gab damals ethische Diskussionen, ob dies im Dokumentarischen überhaupt erlaubt sein sollte? Diese Kritik klang auch bei DOKVILLE an von Thomas Frickel von der AG DOK wies darauf hin, dass heute schon in vielen historischen Programmen re-inszeniert würde und die Schaffung historischer Figuren im Rechner nur neue Möglichkeiten nutzten. Inzwischen könnten solche Figuren in einem erträglichen Kostenrahmen produziert werden. Statt teilweise ungelenkem Re-Enactment könnten detailgetreue Animationen mit virtuellen Schauspielern im Dokfilm wirkungsvoller und historisch präziser sein.
Katrin Rothe: Arbeit mit Collage und Legetrick
Der Ansatz von Katrin Rothe ist im Prinzip komplett diametral zur Arbeit mit virtuellen Charakteren. Statt eines historischen Illusionismus und eines Hyperrealismus wird bei „1917 – Der wahre Oktober“ verstärkt auf das Prinzip Collage und Legetrick gesetzt. Es geht ihr darum, den Aspekt der Repräsentation von Geschichte zu hinterfragen. Im Detail erläuterte sie die Entwicklung der beiden Charaktere des Schriftstellers Maxim Gorki und von Sinaida Hippius, die in Petersburg die Künstler und Intellektuellen in ihren Salon einlud. Sie protokollierte die Ereignisse in Petersburg sehr genau. Die gewählte Animationstechnik ist individuell, trotzdem sollen die Ereignisse der Russischen Revolution möglichst authentisch vermittelt werden.