Der renommierte Dokumentarfilmer und Kameramann Thomas Riedelsheimer hat 2019 ein Förderprogramm gestartet, das junge Filmemacher*innen bei der Stoffentwicklung ihrer Debüts unterstützt. HDF-Mitarbeiter Dr. Kay Hoffmann hat mit ihm über dok.art gesprochen.
Von Sendern und Förderern wächst der Druck, ein möglichst perfektes Treatment zu bekommen. Riedelsheimer hat festgestellt, dass der Nachwuchs damit oft ziemlich allein gelassen wird. Er selbst hat an der HFF München studiert und ist dort und an der Filmakademie Baden-Württemberg als Dozent für Dokumentarfilm tätig. Einen Namen gemacht hat er sich durch seine bildstarken Künstlerporträts wie „Rivers and Tides“ (2001), „Touch the Sound“ (2004) oder „Leaning into the Wind” (2016). In „Seelenvögel“ (2009) begleitete er drei Familien, deren Kinder an Leukämie erkrankt sind.
Im Interview spricht Thomas Riedelsheimer über die Hintergründe und Ziele des Projekts dok.art.
Kay Hoffmann: 2019 nahm dok.art mit dem Projekt „Musenraum“ seine Anfänge, um Debütfilmer*innen bei der Stoffentwicklung zu unterstützen. Was war das Ziel?
Thomas Riedelsheimer: Bei meiner Arbeit als Dozent wurde mir klar, dass die Stofffindung und Stoffentwicklung die größten Probleme für junge Dokumentarfilmautor*innen sind. Gerade in der Anfangsphase sind sie oft allein. Die Hemmschwelle, über erste Projektideen zu sprechen, ist sehr hoch. Also wollte ich einen „Raum“ schaffen, der viel Gespräch zulässt und der erstmal frei von Konkurrenz und finanziellem Druck ist.
Meine Kernidee war es, junge Autor*innen und Tutor*innen zweimal im Jahr für eine Woche zusammenzubringen. An einem Ort, der inspirierend und schön ist und der keine Ablenkungen zulässt – wie eine Klausur. Aus dem „Musenraum“ entwickelte sich im Herbst 2020 dok.art. Die „Intensivwochen“, das Kernstück des Projekts, finden in der weitläufigen und inspirierenden Wolfgang-Sawallisch-Stiftung am schönen Chiemsee statt.
Ein weiterer wichtiger Punkt war mir, dass das Programm kostenlos ist. Ich finde, dass wir Dokumentarfilmer*innen wichtige und wertvolle Beiträge zur Kultur und zu Fragen über unser Zusammenleben leisten. Und ich finde, dass eine Gesellschaft das wertschätzen sollte.
Es gibt viele Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland. Warum siehst du trotzdem den Bedarf für ein solches Programm?
Wir bilden ja nicht aus, sondern kümmern uns ausschließlich um den Debütfilm, also den ersten großen Film nach der Ausbildung. Für mich war es immer eigenartig, dass wir zwar ein recht gutes Fördersystem haben, dass aber die komplette inhaltliche Begleitung Fernsehredaktionen überlassen wird. Im Unterschied zu anderen Betreuungsprogrammen wie dem Documentary Campus sehen wir uns ganz am Anfang der Ideenfindung. Wir wollen gerade nicht gleich an Verwertung oder Internationalität denken.
Wie waren die bisherigen Erfahrungen?
Das Programm macht sehr viel Freude, weil man den Enthusiasmus und die Freude am Filmemachen spürt. Das macht viel Mut für die Zukunft des Dokumentarfilms. Wir haben die Prämisse: „Was in dok.art besprochen wird, bleibt in dok.art.“ Wenn man so einen behüteten Raum schafft, entstehen intensive Gespräche, die über das Filmemachen hinausgehen und dennoch viel damit zu tun haben. Besonders schön ist es für mich zu sehen, dass die Teilnehmer*innen danach in Kontakt bleiben und so ein Netzwerk entsteht. Sie helfen sich. Und es gibt natürlich handfeste Erfolge. Wir haben jetzt fünf Projekte, die Entwicklungsförderungen von Filmförderungen erhalten haben.
Wie bereits erwähnt heißt das Projekt seit Herbst 2020 „dok.art“ und findet innerhalb der Drehbuchwerkstatt München statt. Hat sich dadurch etwas verändert?
Das Programm hat sich nicht verändert. Ich leite es nach wie vor, aber eben innerhalb der Struktur der Drehbuchwerkstatt, was sehr gut funktioniert.
Man kann sich bis Mitte Juni 2021 für dok.art bewerben. Wie werden die Teilnehmenden ausgewählt?
dok.art ist ja immer noch recht „neu“. Letztes Jahr hatten wir rund 25 Bewerbungen. Das Programm ist auf zehn Projekte begrenzt. Die Bewerbungen werden in einem vierköpfigen Gremium, bestehend aus der Leitung der Drehbuchwerkstatt, der Leitung von dok.art (also mir) und zwei weiteren Personen aus der Branche, besprochen.
Viele der Teilnehmenden kommen von Filmhochschulen. Ist dies eine Voraussetzung für das Projekt?
Der Abschluss an einer Filmhochschule ist keine Voraussetzung, nur der Abschluss einer filmischen Ausbildung. Dieser Abschluss kann auch aus dem Ausland sein. Die Bewerber*innen müssen nicht aus Deutschland kommen; die Sprache im Programm ist allerdings deutsch.
Die Teilnahme ist weiterhin kostenlos. Wie wird das Projekt finanziert?
dok.art wird finanziert vom Freistaat Bayern, der Silvius und Esther Dornier-Stiftung und dem Bayerischen Rundfunk. Die HFF München stellt Logistik und – falls benötigt – Räumlichkeiten zur Verfügung. Der Dornier-Stiftung möchte ich an dieser Stelle speziell für ihr Erst-Engagement danken, ohne das es dok.art nie gegeben hätte.
Wie ist die Betreuung der Filmprojekte angelegt? Wer sind die Tutoren?
Jedes Jahr werden drei Tutor*innen verpflichtet. Als Leiter schlage ich die anderen beiden vor, die jeweils wechseln. Durch meine langjährige Tätigkeit als Regisseur, Kameramann und Dozent habe ich viele Kontakte in die Branche und viele Kolleg*innen haben sich dafür bereit erklärt. Darunter „große Namen“ wie Andres Veiel, Heidi Specogna, David Bernet oder Claas Danielsen. 2019/20 haben mir Sabine Rollberg und Claudia Pritzel geholfen. 2020/21 sind es aktuell Claudia Pritzel und Nicole Leykauf.
Während der Intensivwochen haben alle Teilnehmer*innen die Möglichkeit, Einzeltermine mit allen Tutor*innen zu vereinbaren. Dann wird im gegenseitigen Einvernehmen für jedes Projekt ein/e Tutor*in gefunden, der/die die Projekte zwischen den Treffen betreut. Die zuständigen Tutor*innen bleiben ansprechbar, um neue Treatment-Fassungen zu diskutieren, bei Einreichungen zu helfen oder über Krisen hinwegzuhelfen. Die Kontinuität in der Begleitung war mir wichtig und hat sich bewährt.
Der Dokumentarfilm lebt von spannenden Situationen und magischen Momenten in der Wirklichkeit. Ist dies nicht im Widerspruch zu einer ausgefeilten Stoffentwicklung? Wie offen kann man dann beim Drehen für Unvorhergesehenes sein?
Ich glaube, um offen zu sein für die Situationen, die das Leben bietet, muss man recht genau wissen, wo man hinschauen will, und warum. So begreifen wir Stoffentwicklung. Zu verstehen, was man filmisch erkunden will und warum – das ist kein Widerspruch zu einem freien Umgang mit dem „echten“ Leben. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, eine gute Stoffentwicklung macht Autor*innen sicherer im Umgang mit dem Unsicheren.
Hier geht es zu weiteren Informationen zum Förderprogramm dok.art.