Symposium der Dokumentarfilminitiative: Producing Spaces

Welche Wirkungsräume dokumentarischer Arbeit gibt es, wo sind sie zu finden und wie lassen sie sich erweitern? Diesen Fragen ist das von der Dokumentarfilminitiative (dfi) ausgerichtete Symposium am 27. und 28. Januar 2022 im Kölner Filmhaus nachgegangen. Ziel der Veranstaltung „Producing Spaces“ war es, einen Gesprächsraum zu eröffnen. Und so tauschten sich Filmemacher:innen, Kurator:innen, Studierende und Dozierende aus verschiedenen Perspektiven über dokumentarische Arbeiten und ihren Entstehungskontext aus.

Film als Forschung

„Dokumentarfilm und Wissenschaft sollten gegenwärtig Bündnispartner sein, denn sie sind ähnlichen Angriffen von rechts ausgesetzt“, fordert Medienjournalist René Martens und wies damit gleich zu Beginn des Symposiums auf das Näheverhältnis von dokumentarischer Arbeit und Forschung hin. Wie unterschiedlich sich die Arbeitsansätze dabei gestalten, wurde am ersten Konferenztag deutlich, an dem Filmemacher:innen ihre Projekte vorstellten. Allen gemein war, dass sie „nicht vom Ende her“ – also vom fertigen Film aus – denken, sondern sich für einen offenen Rechercheprozess interessieren.

v. l. n. r. Panel mit Christiane Büchner, Marcel Kolvenbach, Sandra Schäfer, Lina Zacher (Foto: dfi/Conny Beissler)
v. l. n. r. Panel mit Christiane Büchner, Marcel Kolvenbach, Sandra Schäfer, Lina Zacher (Foto: dfi/Conny Beissler)

Der Journalist und Filmemacher Marcel Kolvenbach gab einen Einblick in „In Situ – Beobachtungen einer Verbundforschung zu sozialen Ungleichheiten im Gesundheitswesen“; ein vierjähriges Rechercheprojekt, das in Kooperation mit argentinischen Gesundheitsorganisationen und den Universitäten von Buenos Aires und Entre Ríos entstanden ist. Eigentlich Teil eines Forschungprojektes zum Verhältnis von sozioökonomischen Faktoren und Krebserkrankungen, dient Film hier vor allem Instrument der Sichtbarmachung: So gibt es etwa Aufnahmen von der Mülldeponie „El Volca“, die für eine große Menschengruppe zugleich Arbeitsplatz und Lebensmittelpunkt darstellt. In Interviews mit den Menschen, die auf „El Volca“ nach Brauchbarem suchen und mit dem Verkauf ein wenig Geld verdienen, wird eine Lebensrealität sichtbar, die in der Politik weitestgehend unbeachtet bleibt, „Damit die Leute in den Ministerien auch mal sehen, wie es dort aussieht“, so Kolvenbach, der mit seiner Kamera auch die politischen Aushandlungsprozesse begleitete, die ebenfalls einen Teil des Dokumentarfilmvorhabens ausmachen.

Fehlende Finanzierung

Bettina Braun eröffnete das Symposium (Foto: dfi/Conny Beissler
Bettina Braun eröffnete das Symposium (Foto: dfi/Conny Beissler)

Das Thema der Finanzierung kam im Laufe der beiden Konferenztage immer wieder zur Sprache. Schon in der Eröffnungsrede formulierte Bettina Braun: „Viele dieser dokumentarischen Arbeiten, die nicht auf ein Produkt fokussieren, fallen durch die Raster der üblichen Fördermechanismen.“ Entsprechend werden viele Filme von den Filmemacher:innen eigenständig produziert, was einerseits mehr Freiheiten bietet, andererseits eine finanzielle Prekarisierung bedeuten kann.

Diese Umstände verlangen den Agierenden so einiges an organisatorischem Aufwand ab: Lina Zacher oder Sandra Schäfer berichteten etwa, dass sie eigene Vereine gegründet haben, um sich damit für ein breiteres Spektrum an Förderungen zu qualifizieren. Auch mit Blick auf die Professionen der Gäste wurde wieder einmal deutlich: Viele von ihnen sind auf Querfinanzierung angewiesen und haben etwa zugleich eine Stelle als Dozent:in inne, was nicht nur im Näheverhältnis von dokumentarischer Arbeit und Forschung begründet sein mag.

Monika Preischl (Foto: dfi/Conny Beissler)
Monika Preischl (Foto: dfi/Conny Beissler)

Die Arbeit mit und an Archiven

Der zweite Tag des Symposiums konzentrierte sich mit dem Thema Archivarbeit auf einen weiteren Aspekt künstlerischer Forschungsprozesse. Dass Archive ein wichtiger Bezugspunkt für die dokumentarische Arbeit sind, mag auf der Hand liegen. Die Archivrechercheurin Monika Preischl (u. a. „Beuys“, „Poisoned by Polionium – The Litvinenko File“ oder „Brecht“) beklagte in ihrem Beitrag allerdings, dass das Thema Archivarbeit in den Lehrplänen der Filmhochschulen zu kurz komme: „Entsprechend wird für Filmprojekte häufig viel zu wenig oder gar kein Geld für professionelle Recherche eingeplant. Da gibt es noch viel zu lernen.“

Räume für transnationale Filmkultur

Die Kuratorin und Autorin Madeleine Bernstorff eröffnete eine weitere wichtige Perspektive auf Archivarbeit. Sie problematisierte den „kolonialen Entdeckungsblick in die Archive“ und meinte damit eine unreflektierte Aneignung des Materials. Inwiefern Archivarbeit aber auch dazu beitragen kann einen vermeintlich „deutschen“ Kanon zu hinterfragen, machte Cem Kaya in seinem Vortrag deutlich. Für seine Filme recherchiert er in Privatarchiven nach Aufnahmen, „die es nicht geben darf“ – zum Beispiel solche, die die sogenannten „türkischen Gastarbeiter:innen“ in den frühen 1970er Jahren bei Feiern und Freizeitspaß zeigt. „Bilder, auf denen nicht malocht und gelitten wird“, so Kaya.

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Cem Kaya beim dfi-Symposium (Foto: dfi/Conny Beissler)
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Malve Lippmann und Can Sungu (Foto: dfi/Conny Beissler)

Besonders erwähnenswert ist auch das Projekt „Sinema Transtopia“ von Malve Lippmann und Can Sungu, das sich für ein transnationales Verständnis von Filmkultur und Archivarbeit einsetzt. Sie begreifen Kino als sozialen Diskursraum, in dem das gemeinsame Diskutieren ebenso wichtig ist wie die Filme selbst. Ganz im Sinne des Konferenztitels „Producing Spaces“ haben sie sich dafür einen eigenen physischen Raum geschaffen, zentral gelegen im Berliner Haus der Statistik.

Dokumentarfilm in der Lehre

Zum Abschluss des Symposiums diskutierten Studierende und Dozierende im Rahmen eines „sicheren Gesprächsraums“ über die Zukunft der Lehre und die Aufgaben der Filmhochschulen – etwa inwiefern die Lehrenden dafür verantwortlich sind, die Studierenden vor dem Markt zu schützen und sie gleichzeitig darauf vorzubereiten. In der teils sehr kontroversen Diskussion wurde erneut der Gesprächsbedarf deutlich, der an den vorangegangenen Konferenztagen bereits spürbar war. Die ortsansässige Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) war mit gleich drei Professor:innen vertreten. Darunter auch Filmemacher Philip Scheffner, der seit kurzem die neue Professur für „Dokumentarische Praxen und Dokumentarfilm“ besetzt. Und das schürt Erwartungen – klingt „Dokumentarische Praxen“ doch im Anschluss an das Symposium nach einer längst überfälligen Neuausrichtung.

(Eva Königshofen)

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